Länderauswahl:
Du wurdest von unserer Mobile-Seite hierher weitergeleitet.

Preview - Harmony: The Fall of Reverie : Das neue Spiel der Life-is-Strange-Macher wird ganz anders – und auch nicht

  • PC
  • PS5
  • XSX
  • NSw
Von  |  |  | Kommentieren

Mit seinen narrativen Spielen wie Life is Strange, Tell Me Why oder auch Twin Mirror folgte der französische Entwickler Dontnod der Tradition von interaktiven Filmen, wie sie Quantic Dream und Telltale vorgelebt hatten. Ihr neues Spiel schlägt zunächst augenscheinlich eine ganz andere Richtung ein. Harmony: The Fall of Reverie, so der Name, sieht auf den ersten Blick eher wie eine Visual Novel aus. Doch auf den zweiten Blick offenbart sich, dass unter der neuen Fassade das Herz eines waschechten Dontnod-Spieles schlägt.

Ihr spielt die junge Frau Polly, die nach Jahren im Ausland in ihre Heimat zurückkehrt, die fiktive Mittelmeerortschaft Atina. Hier wuchs sie in einer Art Künstlerkommune auf, die sich in einem hippen ausrangierten Schwimmbad eingerichtet hat und nebenbei auch mit den typischen Begleiterscheinungen wie freier Liebe und esoterischen Weltanschauungen experimentierte.

Doch nun ist ihre Mutter auf mysteriöse Weise verschwunden. Noch bevor Polly die Suche richtig aufnehmen kann, findet sie in den Hinterlassenschaften ihrer Mutter ein seltsames Amulett, das sie auf einmal durch die Badewanne in eine Parallelwelt katapultiert: Reverie. Hier leben wundersame, gottgleiche Wesen, die sogenannten „Bestrebungen“, die gewissermaßen menschliche Eigenschaften und Einstellungen symbolisieren und auch so heißen: „Seligkeit“ etwa ist ein fröhlich-quirliges Nerd-Girlie, das gerne vor der Spielkonsole abhängt, „Macht“ ist ein bulliger Griesgram, der von Willensstärke und Durchsetzungsvermögen schwadroniert, „Wahrheit“ ist eine weise, scharfsinnige Lady, und hinter „Chaos“ verbirgt sich ein verschlagener Hallodri, der alles und jeden in seinem Umfeld in Versuchung zu bringen strebt.

Reise ins Labyrinth (des Geistes)

Es ist offensichtlich, dass es sich bei der Fantasywelt nicht um die typische Parallelwelt im Genre handelt wie Narnia, Oz, Alices Wunderland oder das Labyrinth im David-Bowie-Film, mit dem es tatsächlich einen Hauch von Ähnlichkeit teilt. Viel eher scheint es sich bei Reverie um eine Art Spiegelbild des menschlichen Geistes zu handeln, das dem inneren Ringen der Befindlichkeiten eine Gestalt und Dramaturgie verleiht, vielleicht vergleichbar mit einer Mischung aus den inneren Monologen der Charaktereigenschaften in Disco Elysium (Test) und den Seifenoper-Kappeleien am olympischen Hofe von Hades (Test).

Polly, die in der Parallelwelt übrigens den Namen „Harmonie“ trägt und daher anscheinend dazu bestimmt scheint, das Gleichgewicht der streitenden Kräfte wiederherzustellen, verfügt offenbar über die seltene Gabe, zwischen den Welten zu reisen. Die meiste Zeit spielt Harmony: The Fall of Reverie nichtsdestotrotz in der Realität. Die Fantasywelt scheint eher eine Art Ebene zur metaphorischen Reflexion der eigenen Entscheidungen zu sein als ein Reich, das es geographisch zu erkunden gilt.

Denn Polly findet schon bald heraus, dass das Verschwinden ihrer Mutter mit den finsteren Machenschaften eines mächtigen Konzerns zu tun haben scheint, der die Bevölkerung von Atina nahezu vollständig unter seiner Kontrolle hat und in antiken Ruinen insgeheim nach dem Vermächtnis einer untergegangenen Kultur sucht, die womöglich das Geheimnis von Reverie kannte. Ein klein wenig erinnert Harmony in diesen Momenten an den Adventure-Klassiker The Longest Journey, in dem ebenfalls eine junge Frau zwischen den Welten reiste, die von einem skrupellosen Konzern kontrolliert wurden. Ein ähnliches Thema griff auch das letztjährige Indie-Kleinod Norco auf, das ebenfalls von der Rückkehr in die einstige Heimat und der Suche nach einem vermissten Familienmitglied erzählte, während ein übermächtiger Konzern im Hintergrund die Fäden entlang esoterischer New-Age-Hirngespinste zog.

Das war es dann aber schon mit den Gemeinsamkeiten, denn abgesehen davon ist Harmony: The Fall of Reverie durch und durch ein Dontnod-Spiel – auch wenn es zunächst nicht so aussieht. Wie in den bisherigen Spielen des französischen Studios wie Life is Strange dient der phantastische Hintergrund lediglich als Katalysator, um im Vordergrund ganz weltliche, sehr persönliche und durchaus schwierige Themen zu behandeln wie die Aussöhnung mit der eigenen Vergangenheit, sowie Verletzungen und Entfremdungen, die man in der Zwischenzeit erfahren hat.

Innovativ: Entscheidungen als eigenes Spielkonzept

Dazu trefft ihr wie gewohnt im Minutentakt Entscheidungen, die sich unmittelbar auf den Handlungsverlauf auswirken. Aber völlig anders ablaufen, als man es von dieser Art von Spiel gewohnt ist. Denn während die Entscheidungen in den bisherigen Spielen von Dontnod, aber auch bei den Artverwandten von Telltale und Supermassive Games unsichtbar im Hintergrund ihre Konsequenzen bewirken und der Reiz daraus entsteht, dass diese eben nur unscharf vorhersehbar sind und unerwartet ausfallen können, legt Harmony: The Fall of Reverie sie jederzeit offen und bildet sie gar wie auf einem Spielbrett als eigene Spielmechanik ab.

Jederzeit habt ihr im Spiel Einblick auf den kompletten Entscheidungsbaum des aktuellen Kapitels, seht also genau, wo sich der Handlungsverlauf in unterschiedliche Richtungen aufspaltet und welche Entscheidungen ihr treffen müsst, um dem gewünschten Pfad zu folgen. Oftmals müsst ihr zunächst kleine Umwege im Geäst nehmen, damit ein Ereignis eintreten kann, vor allem aber gilt es „Punkte“ in Form von Kristallen bei den verschiedenen Bestrebungen (also den Göttern von Reverie) zu sammeln, damit ein Konflikt in der einen oder anderen Weise gelöst werden kann.

Um einem Freund wichtige Informationen zu entlocken, könnt ihr ihn etwa unter Druck setzen. Oder ihr respektiert erstmal seine Zurückhaltung und gewinnt derartig sein Vertrauen. Entsprechend erhaltet ihr Punkte bei „Seligkeit“ oder „Macht“, was euch im späteren Spielverlauf Handlungsoptionen eröffnet und andere wiederum versperrt. Also im Grunde sehr ähnlich wie in vergleichbaren Spielen, nur dass Harmony eben sehr viel transparenter mit den Folgen eurer Entscheidungen umgeht und ihr euch dadurch stets im Vornherein Gedanken über die Konsequenzen eures Handelns machen könnt und auch müsst, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.

Harmony: The Fall of Reverie - Gameplay Trailer

Dontnod zeigt in diesem Trailer erstes Gameplay aus dem für Juni eingeplanten narrativen Titel Harmony: The Fall of Reverie.

Erst im späteren Spielverlauf (wir konnten bisher nur die ersten beiden Kapitel spielen) wird sich zeigen, ob dieses System Harmony: The Fall of Reverie zum Fluch oder Segen gereicht. Spannend wird es vor allem in Situationen, in denen sich erst langfristig Folgen abzeichnen, die ursprünglich nicht beabsichtigt waren, oder man schicksalhafte Entscheidungen treffen muss, die schmerzhaft den Zweck über die Mittel stellen. Andererseits besteht nämlich auch die Gefahr, dass sich das Spiel durch das Offenlegen des Entscheidungsbaums seines Geheimnisses beraubt, Konsequenzen dadurch erwartbar werden und ihre dramatische Wirkung verlieren, vor allem aber die sehr persönliche, emotionale Geschichte am Ende von reiner Zahlenkalkulation entzaubert und entmenschlicht wird.

Stil nach Art einer Visual Novel

Völlig untypisch für Dontnod wird diese, also die Geschichte, nicht in filmischer Form mit Motion-Capture-Schauspielern, Schnitt und Kameraeinstellungen dargebracht, sondern nach Art einer Visual Novel. Also mit statischen Figuren vor ebensolchen Hintergründen und Texteinblendungen am unteren Bildrand. Das wirkt in der Praxis allerdings deutlich schicker als es in den Screenshots auf dieser Seite den Eindruck macht. Die Personen werden nicht einfach nur durch lieblose Standbilder repräsentiert, sondern fallen stets wie in einem Zeichentrickfilm animiert aus. Auch die Hintergründe sind mehr als schmucklos hingeschluderte Zeichnungen, sondern wurden allesamt als 3D-Modelle erstellt, durch die bei einem Szenenwechsel auch mal die Kamera fahren darf, um einen Eindruck vom Handlungsort zu gewähren.

>> Holt schonmal die Taschentücher raus: 11 Spiele, die zu Tränen rühren <<

Außergewöhnlich aufwändig gar fallen die Zwischensequenzen aus, die als hübsche Anime-Sequenzen präsentiert werden. Auch nicht unerwähnt bleiben darf die (englische) Sprachausgabe, die im Genre der Visual Novels keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt und der reinen Sprechblasen-Erzählweise eine zusätzliche emotionale Dimension zufügt, wie sie für eine derartig menschlich persönliche Geschichte von großer Bedeutung ist.

Könnte dichinteressieren

Kommentarezum Artikel