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Test - Psychonauts 2 : So irre wie genial

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Manche Spiele versprühen ihren Charme von der ersten Sekunde an. Siehe etwa das Grafikwunder Ratchet and Clank: Rift Apart, dessen optisches Feuerwerk geradezu magnetisch an den Controller fesselt. Ein Spiel wie Psychonauts 2 hat es dagegen mit der Sympathiefindung erheblich schwerer. Dem ersten Eindruck nach wirkt das Design zu schräg und technisch zu altbacken für Besitzer der neuen Teraflopsschleudern PS5 und Xbox Series. Doch ein Blick hinter die grafische Fassade lohnt sich, denn Tim Schafers freakige Fortsetzung des 2005er Geheimtipps offenbart ein wahrlich durchgeknalltes Spielvergnügen.

Kultspiel hin oder her: an der Masse der Gamer ging das erste Psychonauts vorbei. Seinen heutigen Status erreichte das Werk aus dem Hause Double Fine erst im Nachhinein. Vornehmlich in der ersten Welle der Let’s-Play- und Speedrun-Kultur, die den Mindfuck hinter der Spielidee auf kompakte Weise weitergab und zugleich kleinere Macken im Spielablauf unter den Teppich kehrte. Die plattformbasierte Hüpfspiel-Mär vom PSI-begabten Zirkusjüngling Raz, der in einem Sommercamp in die Fußstapfen einer Psycho-Spezialeinheit tritt, um die geistigen Verwirrungen besonders freakiger „Patienten“ aufzudröseln, mutierte aufgrund ihrer heftigen Stilblüten und wegen des schrägen Humors zum Geheimtipp.

Ganze 16 Jahre später die Fortsetzung eines Kultspiels zu schmieden hat seine Tücken. Man darf sich nicht zu weit vom Ursprungsmaterial entfernen und will dennoch etwas Neues erzählen. Und so verlangt Tim Schafers Zwickmühle ihren Tribut. Soll heißen, die ersten 90 Minuten von Psychonauts 2 wirken etwas langatmig, weil einem Vieles bekannt und wenig spektakulär vorkommt. Kenner baden bei Spielstart in einer Nostalgietunke, die im wahrsten Sinne Augenwischerei betreibt.

Hinter der Fassade liegt ein Meisterwerk

Hauptdarsteller Raz knüpft genau dort an, wo er zuletzt aufgehört hatte. Endlich sind die Psychonauten auf ihn aufmerksam geworden, was ihm einen festen Rang unter den Agenten dieser abgefahrenen Spezialeinheit einbringt. Denkt er zumindest. Tatsächlich degradiert ihn die Führungsebene im Hauptquartier der Psychonauts undankbarerweise zum Praktikanten, der im Verbund einer kleinen Schulklasse die Eigenheiten der PSI-Manipulation erlernen soll.

Raz ist in dieser Hinsicht allerdings ein alter Hase. Er vermag schon länger in den Geist von Personen einzudringen. Also in das gedankliche Innenleben, das sich als thematisch eindeutiger, aber in der Regel psychedelisch verkorkster Hüpfspielparcours manifestiert. Inklusive beweglicher Plattformen, Grind-Stangen und nicht zuletzt kniffliger Hindernisse, bei denen ein wenig Hirnschmalz verlangt wird. Mal in Form von Multiple-Choice-Gesprächsoptionen, mal beim Herausknobeln des richtigen Wegs und andermal durch das korrekte Verknüpfen vorgegebener Hinweise. In dieser Umgebung verfügt Raz über altbekannte Fähigkeiten wie etwa Telekinese, Pyrokinese oder Levitation und scheint erst einmal nichts dazugelernt zu haben, während der Grafikstil zwar technisch mehr auf dem Kasten hat, aber mit voller Absicht Modernisierungen im Gesamtdesign meidet. Der Verdacht, ein lauwarm aufgekochtes und womöglich zähes Fanservice-Filet aufgetischt zu bekommen, liegt in der Luft.

Nun, diese Anschuldigung kann Psychonauts 2 nie vollständig abschütteln, schließlich war es von vornherein das erklärte Ziel, eine nahtlose Fortsetzung zu stricken, die sowohl dem Ursprungsspiel als auch dem VR-Intermezzo „Rhombus of Ruin“ die Hand reicht. Je tiefer man in das Abenteuer eindringt, desto besser kann man als Kenner mit dieser Designentscheidung leben, zumal viel Feinschliff zutage kommt, der spielerisch wie grafisch viel mehr aus dem Stoff herausholt als zuvor. Feinschliff ist das oberste Gebot. Double Fine rollt Neulingen damit aber nicht gerade den roten Teppich aus. Wer dieses Spiel in seine Xbox Series oder PlayStation 5 einlegt, erlebt keine Next-Gen-Gefühle. Selbst beim Vergleich mit einigen Last-Gen-Titeln zieht Psychonauts 2 auf den ersten Blick den Kürzeren.

Inception, ick hör‘ dir trapsen!

Wer mit dieser Erkenntnis die Flinte ins Korn wirft, verpasst allerdings eines der genialsten Hüpfspiel-Adventures der letzten Jahre. Die ersten 90 Minuten sind so träge, weil viel rekapituliert werden muss. Wer ist Raz eigentlich? Mit wem hat er es zu tun? Wer war zuvor der Bösewicht, und wie kam man ihm auf die Schliche? Das sind zu viele Informationen, um sie dem gut gemeinten, aber dennoch arg vollgestopften Intro-Video zu überlassen.

Und so dauert es leider ein wenig, bis das Spiel so gut in Fahrt kommt, wie man es vom Original in Erinnerung hat. Double Fine hebt sich das dicke Kaliber im Leveldesign für später auf, daher kommt die erste psychedelische Action-Sequenz ein wenig verhalten rüber. Nicht, dass es derweil keine Highlights gäbe. Im Abschnitt, in der man das Hirn des früheren Obermotzes und Zahnklempners Dr. Loboto durchforstet, bekommt man beispielsweise einen Vorgeschmack in Sachen schräger Humor. Etwa, wenn einem die Zahnfee vorgestellt wird. Ein Zigarre rauchender, reibeisenstimmiger, mies gelaunter Backenzahn mit Flügeln, der dank des sowieso schon abgefahrenen Grafikstils noch griesgrämiger wirkt, als man es sich in einer Beschreibung wie dieser ausmalen könnte.

Richtig los geht es aber erst mit dem Start des PSI-Unterrichts, in dem Raz eine wichtige neue Fähigkeit lernt, nämlich das Neuverknüpfen von Gedankenblasen. Theoretisch gesehen nur eine weitere Geschicklichkeitsaufgabe, bei der man sich von einer Gedankenwolke zur nächsten hangelt, tatsächlich aber ein kleines Puzzle, bei dem nur die korrekte Reihenfolge an Gedanken den gewünschten Effekt erzielt. Auf diese Weise kann Raz nämlich die Entscheidungen seines „Patienten“ manipulieren. Inception, ick hör‘ dir trapsen!

Diese neue Fähigkeit bringt sowohl die Handlung als auch den spielerischen Aspekt ins Rollen. Die Psychonauten vermuten einen Maulwurf in den eigenen Reihen, während sich am Horizont die Auferstehung einer alten, mächtigen Gegnerin abzeichnet, die mithilfe von Nekromanten zurückgeholt werden soll. Um den Maulwurf ausfindig zu machen, muss Raz in die Gedankenwelt der legendärsten Vertreter der Agententruppe eindringen und ihren Geist manipulieren, was einige verdammt abgefahrene Leveldesigns mit sich bringt. Angefangen bei Casino-Welten, bei denen man auf einer Kugel balancierend durch einen Pachinko-Automaten kullert bis hin zu einer Alkohol-Welt, die die Trinksucht einer Figur widerspiegelt. Hier ist nicht nur thematische, sondern auch spielerische Abwechslung garantiert.

Erstaunlich ist dabei, wie feinfühlig Psychonauts 2 zwischen ernsten psychischen Problemen und einer humorösen Verarbeitung eben jener hin und her balanciert. Spielsucht, Alkoholismus, Depression, Dental-Phobien und andere Themen werden nie verharmlost oder lächerlich gemacht, zugleich wird aber auch ihre komische Seite beleuchtet. Es mag um ein Plattformspiel mit Fokus auf Geschicklichkeit gehen, aber dies ist kein Produkt für Kinder. Es spricht eindeutig Erwachsene an, die eine Schmerzgrenze aufbauen können, in deren Grenzen Humor und Ernsthaftigkeit unter einen Hut gelangen.

So schräg, so geil

Dem Humor hilft die Grafik auf die Sprünge. Auch wenn sie keineswegs Next-Gen-Qualität erreicht, hält sie doch ein hohes künstlerisches Niveau. Screenshots verdeutlichen an dieser Stelle nur begrenzt, wie viel Mühe hinter dem Design steckt. Die gesamte Gestaltung liegt nämlich irgendwo zwischen Tim Burtons Nightmare before Christmas und einer absichtlich unförmig gezeichneten Nickelodeon-Zeichentrickserie aus den 90ern, wie etwa Ren & Stimpy. Das Ausmaß der Schrägheit kommt nur in Bewegung richtig zur Geltung. Rechte Winkel existieren - wenn überhaupt - nur zufällig. Alles scheint windschief und chaotisch in seiner Architektur. Man braucht eine Weile, um diesen Stil liebzugewinnen, aber er nagt sich schon bald fest, weil er so wunderbar zum inhaltlichen Mindfuck dieses grotesken Abenteuers passt.

Über- oder unterproportionierte Gliedmaßen definieren scheinbar deformierte Gestalten, unterstreichen dabei aber gekonnt das Wesen jeder einzelnen Spielfigur. Und natürlich auch jedes Gegners. Man erkennt sofort, ob eine Figur spitzbübisch, schlitzohrig, gutherzig oder besonders schlau ist. Bildsprache ist hier größer geschrieben als die Qualität der durchweg guten, aber diesmal ausschließlich englischsprachigen Dialoge (samt deutschen Untertiteln).

Gestalterisch wurde nichts dem Zufall überlassen. Immer wieder schleicht sich ein unterschwelliges Gefühl von Pulp-Humor ein, wenn groteske Szenen mit Sechzigerjahre-Agenten-Musik unterlegt werden oder sanfte Orchesterklänge plötzlich zu einem disharmonischen Getöse mutieren, was mindestens genauso psychedelische Verzerrungen hervorruft wie so mancher gekrümmte Fliesentunnel. Soundtrack und Soundeffekte verdienen allein aufgrund ihrer Bescheidenheit ein großes Lob. Die Musik drängt sich nie in den Vordergrund und schafft es doch, immer wieder die richtige Stimmung zu generieren. Sie schleicht sich ins Rückenmark und ist dann einfach präsent. Da braucht es keine laut trötenden Pauken und Trompeten, um ein episches Feuerwerk zu zünden. Im Gegenteil, es ist das Feingefühl des Komponisten, das hier ganz großes Damentennis demonstriert.

Einfach zu erlernen und doch dicht gewoben

Abseits der erwähnten ersten 90 Minuten, die nicht nur mit vielen Handlungsdetails, sondern auch mit allerhand Charakter-Upgrade, Sammelobjekt-Typen und Einkaufs-Regeln bombardieren, entfaltet Psychonauts seine Stärken in wohldosierten Schüben. Ein handfestes Beispiel dafür sind die Gegner, denen Raz die Leviten lesen soll.

Während ihr durch das Hauptquartier der Psychonauts wandert, das als Hub zu den Action-Leveln dient, braucht ihr diese nicht zu fürchten, und selbst in den Actionpassagen kommen sie nur sporadisch vor. Im Gegensatz zu üblichen Jump and Runs verteilt Psychonauts 2 Rez’ Widersacher nicht quer über das gesamte Spielfeld, sondern begrenzt sie auf mal mehr und mal weniger eingekesselte Kampfarenen. Sie sollen typische Psycho-Macken manifestieren, beispielsweise Zweifel, Selbstzensur, Furcht oder schlechte Laune – und so verhalten sie sich auch auf dem Schlachtfeld. Mal schüchtern, mal brutal, mal hinterfotzig. Ihre Marotten und Schwachpunkte erlernt man schnell, aber da in Schüben immer wieder neue dazukommen, erhält das taktische Gefüge mit jeder Stunde neue Facetten.

Nun, abseits des neuen Ausweichmanövers, das Rez ein wenig beweglicher macht, gibt es kaum Unterschiede zu den Arenakämpfen aus dem ersten Teil. Sie gehen insgesamt etwas flotter und koordinierter vonstatten, aber an ihrer grundsätzlichen, meist taktisch dominierten Richtung wurde nicht gerüttelt. Wie beim Rest des Spiels ist Feinschliff das Hauptaugenmerk, was abermals verdeutlicht, dass Double Fine Psychonauts nicht neu erfinden, sondern nahtlos fortsetzen möchte. Nur eines nervt dann doch: Da nur vier Schultertasten für Angriffe bereitstehen, muss man Raz’ Fertigkeiten immer wieder neu auf dem Controller sortieren. Ein Luxusproblem, das aber durchaus Gewicht hat, wenn man bedenkt, dass zwei seiner Talente fast permanent zum Einsatz kommen, nämlich das Hangeln zwischen Gedankenwolken und die schnelle Bewegung auf dem Levitations-Ball.

Viel Kreativität = viel Spaß? - Video-Preview zu Psychonauts 2

Viele Jahre war nicht klar, ob es überhaupt eine Fortsetzung zum Kultspiel Psychonauts geben wird. Doch in gut einem Monat ist es soweit. Wir konnten bereits ein paar Stunden mit dem kreativen Plattformer verbringen.

Der Wechsel zu den Angriffsmethoden ist in dieser Hinsicht weniger nervig als der Fakt, dass man die Talente aufgrund wechselnden Bedarfs ständig auf andere Knöpfe legt und sich so nie an ein Schema gewöhnen kann. Der ein oder andere unabsichtliche Sprung in einen Abgrund kommt nur deswegen zustande. Doch zum Glück ist das Spiel hier nachsichtig. Bei einem Ableben startet man entweder am letzten Checkpoint oder am Eingang des aktuellen Gebiets. Wer will, kann zudem Cheats wie etwa Unverwundbarkeit einschalten, ohne einen Nachteil davonzutragen.

Schade nur, dass nicht alle Bosskämpfe die hoch gesteckten Ansprüche des Spiels erfüllen. Einige ähneln sich auf taktischer Seite zu sehr, andere durchschaut man, noch bevor sie richtig losgelegt haben. Die Palette an Bossen ist kein Reinfall, aber leider auch kein echtes Highlight im Spielverlauf. Mehr oder minder eine Randnotiz, die angesichts aller anderen Aspekte wenig Beachtung findet, da alle Spielumgebungen auch nachträglich zur Erkundung und Abgrasen einladen. Allein aufgrund der vielen Sammelobjekte, für die man hin und wieder erst gewisse Fähigkeiten erlernen muss – etwa um durch einen dünnen Briefkastenschlitz zu schlüpfen.

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