Länderauswahl:
Du wurdest von unserer Mobile-Seite hierher weitergeleitet.

Test - The Talos Principle 2 : Test: Ein Spiel, bei dem das Denken eine Freude ist

  • PC
  • PS5
  • XSX
Von  |  |  | Kommentieren

Eine mysteriöse, verlassene Welt voller Puzzles, die besonders die Raumvorstellung fordern. Hunderte kleine Mechanismen inmitten von Ruinen, von Erinnerungen an ein tragisches Schicksal. Warum? Das müssen wir herausfinden, Licht- und Schalterrätsel um Licht- und Schalterrätsel. Denn das Besondere an Rätseln ist – wie ein Team-Kollege nach ein paar Stunden bemerkt: Man kann sie lösen.

Was haben der Roman Sophies Welt, die Sitcom The Good Place und The Talos Principle 2 gemeinsam? Sie verbinden ein erzählendes Medium mit Wagenladungen voller philosophischer Diskurse. In ihren besten Momenten entsteht daraus eine, so viel Hegel-Hinweis darf in den Artikelanfang, perfekte Synthese aus Unterhaltung und Philosophie. In ihren schwächeren Augenblicken existieren beide Stränge nebeneinander, als wären Volkshochschule und Jahrmarkt per Drehtür verbunden.

Worum geht es in The Talos Principle 2 überhaupt? Nach einer kurzen traumartigen Sequenz, die als Tutorial dient, werden wir als 1K „geboren“. Unsere Spielfigur, wie auch alle anderen Charaktere im zentralen Ort Neu-Jerusalem, sehen aus wie Roboter, reden von sich aber als Menschen, sehen sich als wiedergeborene Nachfahren der ursprünglichen Erdenbewohner. Und sie hatten – mit der oft zitierten Gründerin – eine neue Zivilisation aufgebaut hatten, deren letzter geplanter Neuankömmling eben wir sind.

Die Städter sollten entzückt sein

Sogleich werden wir vom Bürgermeister der Stadt in einer großen Feierstunde begrüßt. Dabei jedoch erscheint eine Partikelwolke in Form von Prometheus, wird aber während seiner flammenden Rede von einer anderen Götterfunken-Wolke stilecht gefesselt und löst sich dann, so viel Drama muss sein, natürlich wieder auf. Die Bevölkerung Neu-Jerusalems nimmt das gelassener, als es hundertprozentige Bio-Homo-Sapiens täten, aber natürlich vergehen keine zwei Spielminuten, bis eine ganz vielleicht möglicherweise mankannniewissen im Zusammenhang stehende Signale auf eine verlassene Insel gefunden wurde und eine Crew sich aufmacht, das Ganze zu erkunden und Zusammenhänge zu bilden. Wobei ich argumentieren würde, dass ein Großteil der tatsächlichen Arbeit auf 1K entfällt, während die übrigen Mitstreiter höchstens ab und an Messgeräte in die Luft halten, als könnte man damit Pokémon einfangen.

Uns wird einstweilen die primäre Aufgabe übertragen, die Rätselketten der jeweiligen Inselregionen zu lösen und vielleicht auch nach alten Artefakten und Laboren Ausschau zu halten. Während der Rätsel-Teil überwiegend großartig funktioniert, bleibt der Erkundungs- und Story-Teil insbesondere in den ersten Spielstunden etwas zurück, so sehr sich die Entwickler bei Croteam auch abmühen, ihn mit Anekdoten, Gesprächen in meinem Team oder in Neu-Jerusalem oder sozialen Netzwerken in meinem PDA zu füllen.

Das liegt insbesondere daran, dass The Talos Principle 2 insgesamt ein ganzes Stück ambitionierter ist als sein Vorgänger, sowohl rein quantitativ – Größe der Welt, Anzahl von allem – als auch qualitativ: Kaum eine philosophische Fragestellung der Menschheitsgeschichte lässt das Spiel unbeachtet. Insbesondere in den ersten Spielstunden muss The Talos Principle 2 seine ganze Welt und seine damit verzahnten Mechaniken aber auch ausfüllen, was in zu langen Dialogbäumen resultiert und in virtuellen Posteingängen wie nach drei Wochen Urlaub.

Dabei sind Spielwelt und die Mechanik darin gut gedacht, gut gemacht und gut geschrieben, inklusiver wohldosierter Humor- und Wortspiel-Ausflüge. Auch wenn ich den Titel rein privat gespielt hätte, regelmäßig wäre meine Finger zur Screenshot-Taste gewandert, um die beeindruckenden Mystery-Bauten festzuhalten. Lichtstimmung, die schiere Größe der Bauwerke über- und unterirdisch, Flora und Fauna: All das feiert Talos Principle 2 auf einem sehr überzeugenden Niveau ab, von den ganz seltenen plötzlich aufploppenden Hirschen einmal abgesehen. Und wo wir dabei sind: Eine Mini-Map statt einer Kompass-Anzeige hätte etliche Verlauf-Wege abgekürzt.

Die Götter dürften geknickt sein

Die Geschichte, die sich dabei insgesamt entfaltet, handelt vornehmlich von dem Verbleib der Gründerin Athena, die Neu-Jerusalem vor einiger Zeit scheinbar fluchtartig zurückließ. Die Stadt selbst hat ohnehin schon bessere Tage gesehen, insbesondere die Sicherheit der Energieversorgung bereitet der Bevölkerung sorgen. Selbstverständlich machen wir auch bald Bekanntschaft mit einer Untergrundbewegung, die für die Regierung und die Stadt ganz andere Ziele hat.

Ebenfalls ein Wiedersehen gibt es mit einer Menge mystischer Kreaturen aus dem östlichen Mittelmeeraum: Die Stimme in den Traumsequenzen steuert wieder der aus dem Vorgänger bekannte Elohim bei, das hebräische Wort für Gottheit, und im Laufe der Erkundungs- und Rätseltouren begegnen uns direkt oder über Nacherzählungen auch eine Sphinx, der eingangs erwähnte Prometheus sowie das halbe Pantheon aus dem Olymp. Eine so massive DIY-Mythologie hätte gehörig nach hinten losgehen können und würde im schlimmsten Fall wie antike Fan-Fiction wirken, doch die souverän gewobene Erzählung baut allmählich eine faszinierende Geschichte auf.

Die Bretter wollen verrückt sein

Um die eigentlichen Rätsel zu lösen, bewegen wir uns mit 1K in den dafür abgeschirmten Bereichen und stellen mit den bereitgestellten Utensilien Verbindungen her, beseitigen elektromagnetische Wände oder aktivieren Schalter. Jedes in den Rätselräumlichkeiten verfügbare Werkzeug ist genau für eine Sache zu gebrauchen – Licht von einer Quelle weitergeben, Lichtfarben ändern (als Umkehr- und Mischvariante), Maschinen oder Energiefelder stören, an bestimmten Stellen ein vorübergehendes Loch in die Wand bohren …

Und wie es sich für gutes Rätseldesign gehört, macht TTP2 aus diesen simplen Zutaten clevere Herausforderungen. Wie erreiche ich den eingezäunten Bereich da hinten, wo der Lichtstrahl so nicht durchkommt – mit einer Kiste, doch die kann ich eigentlich nicht durch das halbdurchlässige Portal hier schleppen, und den Störsender brauche ich bereits für … hm, aber wenn ich zuerst mit der Kiste auf den Ventilator springe und der mich in den Zielbereich katapultiert, könnte ich dann nicht vielleicht? Ach nein, ich kann ja vorher diesen Lichtstrahl umlenken, um dann dort drüben … ja, das klappt!

In seinen besten Momenten erreicht TTP2 mit den Rätseln einen ungemein befriedigenden Flow. Das Gefühl, eine Handvoll der Herausforderungen auf Anhieb zu lösen und von den robotischen Kollegen dafür belohnt zu werden, kann sich mit jeder Arkham-Klopperei oder jedem Battlefield-Schusswechsel locker messen. Und wenn bei den schwierigeren Rätseln der Marke „muss man halt drauf kommen“ dann das Fünfzig-Cent-Stück (Inflation!) fällt, kann ich den Befehl zum Aktivieren der strategischen Dopamin-Reserven im Oberstübchen regelrecht fühlen.

Allein, Potenzial für Verbesserungen hätte der Rätsel-Bereich dennoch. Dass ich bei acht Puzzles pro Weltenabschnitt plus Bonus-Herausforderungen zwischendurch an einigen nach manchmal einer halben Stunde aufgegeben habe – geschenkt, Problem sitzt vor dem Monitor. Schwieriger wiegt, dass das Spiel hier keine Hilfestellung gibt, sondern lediglich die Möglichkeit, über so genannte Prometheus-Funken ein bestimmtes Puzzle als gelöst zu markieren. Ich kann nie einen meiner Team-Gefährten um Hilfe bitten? Keine Vogelperspektive eines Puzzlebereichs erfragen? Und: Mehrfach ist es mir gelungen, innerhalb bestimmter Puzzles Sackgassen herbeizuführen, weil bestimmte Gegenstände oder die eigene Spielfigur nun für ewig in nicht mehr von außen erreichbaren Räumen verweilen.

Insgesamt jedoch überzeugt der Rätsel-Teil von The Talos Principle 2 klar durch ein immens cleveres Design, das einfach Spaß macht. Selten hat meine intellektuelle Selbsteinschätzung so stark geschwankt zwischen „Man reiche mir Stift und Zettel, das wird sich doch zeigen, ob sich die Goldbach’sche Vermutung nicht doch beweisen lässt …“ und „Morgen schickt mir das Amt jemanden, um die Schnürsenkel zu binden“ – aber das nahezu immer mit enormem Investment und Freude am Fortschritt.

Die Spötter müssen bedrückt sein

Nach abgeschlossenen Rätselketten und kleineren, überwiegend optionalen Dialogen mit dem Team, in dem die verschiedenen Persönlichkeiten gut hervorkommen – inklusive charmanter Diskussion über Hunde und Katzen als Haustiere – führt das Spiel zu einem kleinen Tetris-artigen Teil und hernach in große Türme, in denen mystische Partikelwolken in Form von zum Beispiel Prometheus moralische Fragen stellen. Was ist die Lehre aus Ikarus tödlicher Zu-nahe-an-der-Sonne-Flugstunde? Auch unsere robotischen Mitmenschen löchern uns in fast jedem Dialog und bitten um eine moralische Einschätzung diverser Entscheidungen. Dass sich die Gründerin zurückgezogen hat – verständlich oder unverzeihbar? Je nach Persönlichkeit unseres Gegenüber folgt auch sogleich eine ablehnende oder bejahende, teils emotionale Antwort, sofortige Handlungsauswirkungen aber nicht.

The Talos Principle 2 - Neuer Trailer verrät den Releasetermin

The Talos Principle 2 hat einen Releasetermin, nämlich den 2. November 2023 für PC, PS5 und Xbox Series X/S, wie der neue Trailer verrät.

Dass Rätsel- und Geschichtsteil lange fast völlig losgelöst nebeneinander existieren, ist dabei zwar verständlich – und mir um Welten lieber als verzweifelte Erklärungs- und Einbettungsversuche der Marke schlechter Myst-Klon. Allerdings sorgt es eben auch für ein recht abgetrenntes Erlebnis, in dem die vielen kleinen Anspielungen auch auf Literatur oder Musik und die Dialoge mehr für sich stehen müssen als bei einem besser integrierten Mix der Prinzipien.

>> Indie-Perlen: 12 aktuelle und kommende Spiele-Geheimtipps <<

Auf sehr hohem Niveau bleibt The Talos Principle 2 dabei hinter den größten Referenzen im Genre wie der Portal-Serie oder Journey zurück, auch – oder gerade weil – diese sich an wesentlich kleineren Gebäckstücken versuchen. Die Reise nach Neu-Jerusalem kann allen, die gerne mit Weißwein oder Kakao vorm Rechner sitzen, wärmstens empfohlen werden. Für den hoffentlich erscheinenden Nachfolger gilt die alte Redakteursweisheit: Zehn Prozent kürzen macht jeden Text besser.

Könnte dichinteressieren

Kommentarezum Artikel