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Test - Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise : Im zweiten Anlauf zum Geniestreich?

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Deadly Premonition gilt in der Spielegeschichte als Paradebeispiel für grandioses Scheitern an den eigenen Ambitionen. Seine Wertungen umfassten die gesamte Spannbreite von „unsäglicher Rotz“ bis „geniales Meisterwerk“. Darum hält es im Guinness-Buch der Rekorde den Eintrag als „polarisierendstes Spiel aller Zeiten“. Es war in vielerlei Hinsicht so spröde, hässlich und unausgegoren, dass es für seine Kritiker leicht fiel, gnadenlos draufzuprügeln.

Doch durch die raue Oberfläche funkelte sichtlich und wunderschön der Rohdiamant, den dieses Spiel im Herzen trug. Ob es an zu wenig Budget oder Zeit lag, daran, dass sich die Macher an irgendeinem Punkt der Entwicklung einfach nur verrannt oder maßlos übernommen hatten, am Ende wirkte Deadly Premonition weniger wie ein fertiges Spiel als vielmehr die Ahnung davon, was es vielleicht hätte sein sollen. Oder werden können: die kraftvolle Vision eines Open-World-Spiels, das vor seinen Spielern eine lebendige Welt ausbreitet - und nicht nur eine Wiese für in gelangweilter Beliebigkeit darüber ausgeschütteter Sammelobjekte oder ein Rummelplatz für Minispiele und Schießbuden.

Im Vorgarten blüht der Krokus

Deadly Premonition 2 stellt dementsprechend nicht bloß den üblichen Nachfolger dar, der die Qualitäten seines Vorgängers weiterspinnt und seine Macken ausbügelt, sondern die unschätzbare Chance für seine Entwickler zur Rehabilitation, endlich genau die Vision umzusetzen, die ihnen schon beim ersten Mal vorschwebte. Dass überhaupt ein Nachfolger angekündigt wurde, dürfte angesichts der Ausmaße des Scheiterns jedenfalls zu den größten Überraschungen der letzten Jahre gehören – noch dazu völlig ohne vorherige Kickstarter-Kampagne, für die solcherlei Spiel eigentlich prädestiniert ist, weil es für den Massenmarkt zu nischig ausfällt, aber von seinen Fans auf eine kultische Weise verehrt wird wie das hässliche Entlein, das man nicht nur trotz, sondern auch gerade wegen seiner Andersartigkeit liebt.

Ich bezeichne Deadly Premonition regelmäßig als „das beste, aber auch schlechteste Spiel, das ich je gespielt habe“. Und so paradox es klingen mag: beides gleichzeitig - womit es gewissermaßen die spielgewordene Schrödinger-Katze darstellt. Es ist sperrig und hässlich bis an den Rand der Zumutbarkeit – und wenn man ehrlich ist bisweilen weit darüber hinaus. Es steckt voller unausgegorener Merkwürdigkeiten, die im besten Falle spielerisch einfach nur sinnlos sind, im schlimmsten aber richtig derbe nerven, wie die unsäglichen Actionsequenzen, die das Spiel allein dadurch deutlich besser gemacht hätten, würden sie einfach fehlen.

Doch Deadly Premonition war eben auch der Versuch eines Open-World-Spiels, in dem die NPCs nicht als Klon-Spaziergänger ihre Routen abmarschieren, sondern als echte Menschen mit echter Persönlichkeit und eigener Rolle im sozialen Mikrokosmos dieser Welt existieren, das nichts weniger als die Simulation von wirklichem Leben anstrebte - nicht nur seiner Welt, sondern auch seiner Spielfigur, der in Echtzeit ein Bart wuchs und die regelmäßig duschen, essen und schlafen musste (und im zweiten Teil immer noch muss), nicht um den Gesundheitsbalken aufzufüllen oder den Spielstand zu speichern, sondern weil es ein natürliches, körperliches Bedürfnis ist.

Und wen solcherlei eher abstrakte Überlegungen an Spielen nicht interessieren, der wurde zumindest ab einem bestimmten Punkt unweigerlich von der Geschichte in einen Sog gerissen, die irgendwo zwischen Twin Peaks und Silent Hill den Atem raubte: ein Serienkiller-Thriller in der amerikanischen Provinz, in dem schon bald jeder der kauzigen Einwohner auf irgendeine Weise mit dem Fall in Verbindung steht und ein spleeniger FBI-Agent mit übersinnlichen Methoden ermittelt, indem er sich etwa Prophezeiungen aus dem morgendlichen Kaffee weissagen lässt oder mit seinem eingebildeten Partner Zwiesprache hält. Wer ein paar Gedanken dazu vertiefen möchte, dem lege ich meinen Artikel über die kürzlich erschiene Switch-Version Deadly Premonition: Origins ans Herz, der entsprechend seines Gegenstandes weniger traditioneller Test als vielmehr Ode und Verbeugung vor einem außergewöhnlichen Spiel ist.

Die Katze sitzt auf einem Heft mit Sudokus

Nach den traumatisierenden Ereignissen des Vorgängers lebt der einst so brillante wie verschrobene FBI-Agent Francis York Morgan nur noch als Schatten seiner selbst im Vorruhestand einer heruntergekommenen Einzimmerwohnung. Bis er eines Tages Besuch von zwei Agenten erhält, deren aktuelle Ermittlungen Verbindungen bis ins Jahr 2005 zu einem von Yorks früheren Fällen aufzuweisen scheinen. Es geht um eine halluzinogene Droge, die ihre Konsumenten in den Wahnsinn treibt, und eine Frauenleiche, die nach 15 Jahren endlich gefunden wurde, auf bizarre Weise zerstückelt und eingefroren in einem Eisblock.

Deadly Premonition2: A Blessing in Disguise, das dieser Tage exklusiv auf Switch erscheint, spielt somit ein paar Jahre vor dem ersten Teil und rollt die Ereignisse von einst als Open-World-Abenteuer in der Rückschau auf. Francis York Morgan folgt der Spur einer mörderischen Droge ins Provinznest Le Carré im US-Bundesstaat Louisiana. Kaum dort eingetroffen erreicht ihn bereits die Kunde über den bestialischen Mord an einer jungen Frau, die bei lebendigem Leib in ihre Einzelteile zersägt und in abartiger Weise auf einem Altar unter einer Brücke aufgebahrt wurde.

Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Opfer um die jüngste Tochter der mächtigsten Familie am Ort, die seit Generationen wie Könige über das Städtchen herrscht. Und wie im ersten Teil scheinen alle Einwohner mehr zu wissen, als sie vorgeben, und Mächte im Hintergrund die Fäden zu spinnen, die nicht von dieser Welt sind. Doch bekanntlich ist Francis York Morgan genau der richtige Mann für derlei übernatürliche Ermittlungen, schließlich ist er Experte im „metaphysischen Profiling“, was in diesem Fall so viel heißt wie: Statt Botschaften aus seinem Kaffee zu empfangen, erscheint ihm diesmal von Zeit zu Zeit der Geist eines Voodoo-Schamanen, der ihm aus dem Jenseits mit kryptischen Orakelsprüchen den Weg weist …

Wie der letzte Punkt andeutet, bildet die Wahl des Schauplatzes einmal mehr bereits den ersten Geniestreich von Deadly Premonition. Wo im ersten Teil die Abgeschiedenheit von der Außenwelt im Nirgendwo der schier endlosen Wälder des amerikanischen Nordwestens einen Großteil zur entrückten Erfahrung beitrug, atmet der zweite Teil die brütend heiße Atmosphäre von Louisiana mit seiner einzigartigen Geschichte aus französischer Kolonialvergangenheit, den Einflüssen afrikanischer (Sklaven-)Kultur, morbidem Voodoo-Aberglaube und der zügellosen Lebensfreude des Jazz. Und dann natürlich seiner Natur mit der sengenden Hitze, die auch ohne Magie und übersinnlichem Schrecken im Flirren der kochenden Luft die Grenzen der Wahrnehmung zwischen Realität und Fata Morgana, zwischen Fakten und Fantasterei verschwimmen lässt.

Von Anfang an hüllen die von Schlingpflanzen überwachsenen Bäume diese Landschaft wie in einen verwunschenen Zauber und verleihen ihr gleichsam etwas gespenstisch Bedrohliches, als betrete man hier vom ersten Schritt an ein Zwischenreich des Todes, das den Menschen zu seinem natürlichen Feind erkoren hat. Die Sümpfe voller Alligatoren halten ihre tödliche Gefahr stets vor den Augen verborgen unter der morastigen Oberfläche und doch in unmittelbarer Nähe, wo sie jederzeit heimtückisch zuschnappen könnte, genau wie die Mörder, die ihre blutigen Geheimnisse hinter frisch gestrichenen Gartenzäunen verstecken. Als besonders schlauer Kniff schließt die Rahmenhandlung in der Gegenwart das Geschehen mit der Vorahnung kurz, dass dieser Sündenpfuhl in nur wenigen Jahren vollständig dem Wirbelsturm Katrina anheim fallen wird, was die Naturkatastrophe auf der symbolischen Ebene zu einer biblischen werden lässt.

Wurde der erste Teil aufgrund seines nicht nur sprichwörtlich hinterwälderischen Schauplatzes oft mit Twin Peaks verglichen, so bieten sich für Teil 2 Parallelen zu schwül fiebernden New-Orleans-Filmen wie Angel Heart oder Werner Herzogs Remake von Bad Lieutnant an. Vielleicht aber auch eher, wie das Spiel sogar selbst vorschlägt, Edel-Horror-Trash der Marke "Katzenmenschen".

In der Wäschespinne hängt ein Meisenknödel

Doch Deadly Premonition 2 erzählt wie auch sein Vorgänger nicht bloß eine Mystery-Mär des übersinnlichen Thrills, der bestialischen Verbrechen und entstellten Monster, sondern vor allem auch eine aberwitzige Groteske über schrullige Menschen und ihre Marotten, die mitunter weitaus surrealer auftreten als die außerweltlichen Schrecken. Bereits in der ersten Szene sitzt der Protagonist vor einem Frühstück, das nicht nur aus einem riesigen Omelette, sondern auch einem ganzen Hummer (!), einer kompletten (!!) Ananas und etwas besteht, das aussieht wie eine Ofenkartoffel, wofür er den Koch in den höchsten Tönen preist, obwohl er nichts davon auch nur angerührt hat, sondern nur am Tee nippt, den er am nächsten Tag dennoch lieber durch Kaffee ersetzt sehen würde. Der Hotelkoch wiederum ist gleichzeitig auch Concierge und Page in einer Person, die sich auf schizophrene Weise je nach Uhrzeit vom einen in den anderen verwandeln und von der merkwürdigen Dreifaltigkeit in Personalunion nichts zu wissen scheinen.

Der Besitzer der einzigen Bar am Ort trägt als Ausdruck seiner Individualität nichts außer einer weißen Feinripp-Unterhose am Leib, und der Priester, der gleichzeitig auch Arzt ist, warum auch immer, schickt jeden seiner Patienten vor der Behandlung erstmal auf eine kindische Schnitzeljagd. Die Figuren diskutieren über herrlich absurden Quatsch wie die richtige Technik zum Essen einer noch gefrorenen Tiefkühl-Pizza oder die Bedeutung von regelmäßigem Bowling fürs Seelenheil. Und selbstverständlich führt der Held wieder unablässig Selbstgespräche mit seinem imaginären Freund Zach, mit dem er sich nicht nur über den aktuellen Fall, sondern vor allem über Fun-Facts aus dem bunten Fundus seines schlechten Filmgeschmacks austauscht, während sie auf einer Meta-Ebene einmal mehr natürlich nichts weniger als die direkte Verbindung zwischen Spielfigur und Spieler knüpfen.

Die ersten zwei Stunden des Spiels kam ich aufgrund solcherlei herrlich verschrobener Absurditäten aus dem Kichern kaum mehr raus. Auch wenn es danach erstmal eine ganze Weile in den erzählerischen Leerlauf schaltet und deutlich länger als der Vorgänger braucht, um sich mit einem Paukenschlag wieder zurückzumelden, dabei nie denselben mitreißenden Sog zu erzeugen vermag: solange sich Deadly Premonition 2 auf seine Geschichte konzentriert, wie ein betrunkener Slalomläufer seinen irren Schlingerkurs zwischen surrealem Horror und bizarrer Farce durchtorkelt, erweist es sich wie der erste Teil als hochgradig unterhaltsam. Denn als Spiel scheitert es abermals auf die gleiche Weise …

Die Putzfrau bringt die Bionade-Flaschen raus

Deadly Premonition 2 breitet sein Geschehen auf der Bühne einer Open World aus, die euch keinerlei Beschränkungen auferlegt. Ihr könnt von Anfang an jeden Ort dieser Spielwelt aufsuchen: von der Innenstadt mit seinem Hotel, den Restaurants und Geschäften, zu den Villenvierteln im Osten und den Trailer-Parks im Süden, von der Lebensmittelfabrik im Industriebezirk zur Zuckerrohrplantage oder der Flusskrebsfarm am Stadtrand. Einmal mehr geben sich die Entwickler von Deadly Premonition allergrößte Mühe, ihre Welt nicht bloß als Kulisse aus Gebäuden, Wald und Wiesen zusammenzusetzen, sondern als glaubhaften Mikrokosmos kleinstädtischen Lebens, dessen Logik sich allein schon aus sozialen, ökonomischen und architektonischen Zusammenhängen ganz intuitiv von selbst erschließt.

Die Figuren, denen diese Welt Heimat ist, existieren nicht bloß darin, sondern bevölkern sie. Nicht als NPCs, sondern als wirkliche Menschen. So zumindest die Theorie hinter der Idee. Statt ihr Leben lang an der Ecke zu stehen und Nebenquests wie Flugblätter zu verteilen, leben sie ein Leben in dieser Stadt: fahren morgens zur Arbeit, halten ein Schwätzchen, treffen sich nachmittags mit Bekannten, kehren abends nach Hause zurück oder trinken noch ein Bier in der Bar, bevor sie schlafen gehen. Auf diese Weise erhalten sie mit der Zeit eine authentisch wirkende Persönlichkeit, wie sie kein noch so ausführlich vorgetragener Lebenslauf in der ermüdenden Langatmigkeit durchklickbarer Dialogzeilen je erzeugen könnte.

Auf die Frage, was er als das größte Problem am Vorgänger erachte, nannte Entwickler Swery einst im Interview eben jene simulierten Tagesabläufe, die so undurchschaubar umgesetzt waren, dass sich die damit verbundenen Nebenmissionen kaum auffinden ließen (was mich seinerzeit stutzen ließ, ob ihm die vielen anderen Unzulänglichkeiten gar nicht bewusst waren, aber zu dem Thema kommen wir später). Deadly Premonition 2 macht in diesem Punkt tatsächlich immerhin manches besser, aber trotzdem fast alles falsch.

Ach, Klaus, Rock‘n‘Roll sieht anders aus

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Und erst recht nicht, wann ich wieder aufhören werde. Denn allein die bloße Aufzählung der eklatanten Mängel in diesem Spiel dürften dazu führen, dass ich mich gleich für mehrere Minuten in Rage rede.

Fangen wir einfach mit besagten Nebenquests an, die an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten sind, dazu dienen sollen, den Bezug zur Spielwelt und ihrer Bewohner zu vertiefen, die Fähigkeiten der Spielfigur zu verbessern und natürlich Loot und Kram einbringen, letztendlich aber nur pure Gängelei am Spieler bedeuten. Ausnahmslos handelt es sich dabei um primitivste Grind- und Fetch-Quests, für die man jedes Free-to-Play-MMO ohne Essen ins Bett schicken würde: Da muss man eine bestimmte Zahl an Alligatoren oder gar Bienen (!) mit der Pistole (!) erschießen. Oder streunende Hunde, was nochmal aus ganz anderen Gründen höchst fragwürdig ist.

Ganz furchtbar: Ich soll eine Dose Spinat aus einem Snackautomaten kaufen, wie sie dutzendfach in der Spielwelt herumstehen. Das Problem: Die gesuchte Dose gibt es nur in einem einzigen, ganz bestimmten Automaten. Ich habe mehrere Stunden allein damit verbracht, die ganze Spielwelt abzusuchen in der verzweifelten Hoffnung, diesen verf*ten Automaten irgendwo zu finden.

Der dadurch entstehende Dauerzustand von Deadly Premonition 2 ist lähmender Leerlauf und Ratlosigkeit, bis hin zur puren Verzweiflung. Zumal die Hauptmissionen regelmäßig Phasen im Spielverlauf diktieren, in denen mehrere Tage Spielzeit nichts Relevantes geschieht und das Spiel den Spieler dadurch anhalten möchte, sich mit den Neben- und Sandbox-Elementen zu beschäftigen. Oder Zeit totzuschlagen mit Minispielen wie Bowling (völlig überflüssig und schlampig umgesetzt, aber wenn man es aus Langeweile nur lang genug spielt, wird es tatsächlich irgendwann ganz unterhaltsam), einem Skateboard-Parcours (aufgrund der schwammigen Steuerung eher weniger) oder einer Railshooter-Bootsfahrt durch einen Sumpf (primitiv und technisch grausam, aber überraschend kurzweilig). Von meinen 36 Stunden Spielzeit habe ich etwa die Hälfte völlig überflüssig mit ziellosem Herumfahren verplempert, weil ich nie wusste, was das Spiel eigentlich von mir will, wo es noch was zu tun gibt oder ganz schlicht, wo die zu sammelnden Gegenstände für die Fetch-Quests versteckt sind.

Den Reis für die Köchin habe ich beispielsweise bis heute nicht gefunden. Auch nicht die fünfte Perle für den Verkäufer im Voodoo-Laden oder den letzten der 20 Orte im Fotoalbum, deren Position in der Spielwelt man ähnlich wie in Zelda: Breath of the Wild aufspüren und zuordnen soll. Wer im Gegensatz zu mir das Spiel nach Veröffentlichung spielt, wenn sich das Internet schon mit Guides und Wikis gefüllt hat, dürfte sich vieles von dem Frust ersparen, der mein Spielerlebnis noch über weite Strecken maßgeblich prägte. Allein schon, weil man sich auf diese Weise im Zweifel die Gewissheit einholen kann, dass man nichts Wesentliches verpasst, wenn man die Zeit vorspult.

Zumal das Spiel ab einem gewissen Punkt so wirkt, als seien ursprünglich noch weitere Kapitel geplant gewesen, aber nicht mehr verwirklicht worden. Denn ziemlich unvermittelt biegt das Spiel irgendwann auf die Zielgerade ein und geht schnurstracks dem Ende entgegen, ohne Vorwarnung des Point-of-no-Return, man solle noch erledigen, was man erledigen wolle. Etliche meiner noch offenen Nebenquests bleiben daher vorerst unabgeschlossen.

Doch letztendlich ist das wiederum völlig egal. Denn auch wenn das Spiel den Anschein erweckt, die Nebenmissionen brächten notwendige Perks für den Charakter, wichtige Verbesserungen für die Waffen und nützliche Gegenstände, ohne die man es irgendwann schwer haben könnte, so ist effektiv nichts davon der Fall. Zu großen Teilen bestehen die Belohnungen lediglich aus leidlich brauchbarem Tinnef, der ohnehin in verschwenderischer Beliebigkeit über der Spielwelt ausgekippt wurde – und als solcher dem eigentlichen Anliegen des Spiels genau entgegenwirkt.

Denn während die Entwickler auf der einen Seite unter größter Anstrengung die Illusion einer authentischen Welt behaupten, reißen sie diese auf der anderen Seite geradezu vorsätzlich mit dem Arsch wieder ein, indem sie sie zur Wiese fürs unablässige Ostereiersuchen herabwürdigen. Noch dazu in bizarr unglaubwürdiger Weise, indem ich allerorts kaputtes Geschirr (hä?) unter Bäumen im Vorgarten finde oder als rechtschaffener FBI-Agent Briefkästen ausraube, in denen Stofffetzen fürs Crafting liegen (wie zum Geier kommen die da hin?). Eine Spielwelt, die lediglich als Müllkippe für Unmengen an Plunder dient, ist jedenfalls das genaue Gegenteil von glaubwürdig.

Aber wie gesagt: Letzten Endes ist das alles völlig egal. Bis auf eine durchaus nicht zu leugnende Stärkung der emotionalen Verbundenheit mit der Welt und ihren Figuren sind sich die zahlreichen Spielelemente von Deadly Premonition 2 weitgehend Selbstzweck. Statt sich gegenseitig zu einem schillernden Netz aus Gameplay-Systemen zu verspinnen, verschleiern sie mit ihrer undurchsichtigen Oberfläche bloß, dass die behauptete Tiefe dahinter nicht vorhanden ist. Denn letztlich läuft es am Ende eines jeden Kapitels lediglich auf eine der Actionszenen hinaus, bei deren bloßen Erwähnung es vermutlich jetzt jedem Spieler des Vorgängers grauen dürfte, der nicht im Supereinfach-Modus des Director‘s Cut gespielt hat ...

Ja, es gibt sie wieder. Ein wenig hatte ich im Vorfeld die Hoffnung, der Nachfolger würde komplett auf sie verzichten, schließlich waren sie schon im Vorgänger ursprünglich gar nicht vorgesehen und nur auf Befehl des Publishers nachträglich noch behelfsmäßig implantiert, weil Horror halt irgendwie platzende Köpfe braucht – im Übrigen einer der Gründe, warum sie allein schon erzählerisch keinen so richtigen Sinn ergaben und auf merkwürdige Weise neben dem Rest des Spiels zu stehen schienen.

Für alle, die jetzt beim Gedanken daran mit spontaner Schnappatmung zu kämpfen haben, folgt an dieser Stelle sogleich die Entwarnung: Sie sind diesmal deutlich seltener und vor allem so lächerlich einfach, dass sie lediglich durchstanden, aber nicht mehr durchlitten werden müssen (vorausgesetzt ihr bleibt bei der Startwaffe, die absurderweise deutlich stärker ist als alle anderen, die ihr im Spielverlauf erhaltet) - aber dadurch im gleichen Schritt eben auch alle anderen Spielelemente, alle Crafting-Verbesserungen, Waffenmodifikationen und Charakter-Perks, ja strenggenommen das komplette Spiel und seine Open World, bedeutungslos machen. Ich hoffe dennoch inständig für euch und euer Seelenheil, dass daran bis zum Release nicht noch per Patch etwas geändert wird.

Denn nicht nur ihr Schwierigkeitsgrad, auch alle anderen Aspekte dieser Szenen sind mit dem Attribut „lächerlich“ gleichsam treffend wie umfassend beschrieben. Sie sind an Eintönigkeit, Langatmigkeit und Einfallslosigkeit kaum zu überbieten, Gegner-KI und Steuerung spotten jeder Beschreibung (wenngleich man Letzterer zugutehalten muss, dass sie einem die Qual der „Panzer“-Lenkung erspart, was nebenbei gesagt aber schon fast den einzigen wirklichen Fortschritt des ganzen Spiels gegenüber seinem Vorgänger darstellt).

Die „Höhepunkte“ eines jeden Abschnittes bilden im doppelten Wortsinne die abschließenden Bosskämpfe, die in Dimensionen des Dilettantismus vorstoßen, wie ich sie selbst in zusammengemurksten Hobbyspielen von Amateurentwicklern auf Steam-Greenlight nicht in dieser Schlampigkeit gesehen habe. Immerhin fallen auch sie so einfach aus, dass es teilweise nur wenige Sekunden dauert, bis der Boss am Boden liegt (ich bin nur ein einziges Mal im gesamten Spiel gestorben und das auch nur, weil ich mitten in einem Bosskampf auf Toilette gegangen bin - ich weiß, ist 'ne doofe Idee, hätte aber klappen können). Man kann nur mutmaßen, was sich irgendjemand dabei gedacht haben mag. An ihrem Beispiel zeigt sich jedenfalls ganz besonders augenfällig, wie weit in diesem Spiel Absicht und technische Umsetzbarkeit auseinanderklaffen.

Womit wir beim letzten Punkt angelangt wären, der fast schon einen eigenen Artikel füllen könnte: der Technik. Was die Entwickler mit ihrer riesigen offenen Spielwelt der heillos überforderten Hardware der Switch abverlangen, grenzt jedenfalls schon an eine Zumutung für den Spieler: Eine Bildwiederholrate im einstelligen Bereich ist ganz und gar keine Seltenheit, erst recht während der rasanten Skateboard-Fahrten, die die Fortbewegung per Auto aus dem Vorgänger ersetzen und immerhin vermeiden, dass sie sich durch die nicht vorhandene Fahrzeug-Physik erneut der Lächerlichkeit preisgeben.

Währenddessen rauscht ein Pixelmatsch an euch vorbei, als rühre jemand einen Topf mit Graupensuppe um, und die Bäume und Häuser erscheinen schon in wenigen Metern Entfernung nur noch in einer grobkörnigen Auflösung, die es schwer macht zu erkennen, was da überhaupt zu sehen sein soll (Ist es ein Baum? Ein Haufen Zuckerwatte? Chili con carne?)  – wenn sie denn überhaupt schon zu sehen sind und nicht erst noch unvermittelt aufploppen müssen. Der Versuch, die hoffnungslos altbackene Grafikqualität durch eine Anmutung von Comic-Look mit rahmenden Cel-Shading-Linien zu kaschieren, gereicht bestenfalls zum Wunschdenken und verhindert zumindest in den Zwischensequenzen den erneuten Totalausfall.

Sicherlich dem niedrigen Budget geschuldet sind auch die Animationen der Nebenfiguren, die eben so aussehen wie Barbie und Ken beim Campingausflug und sich damit nahtlos in dieses Potpourri der unfreiwilligen Komik einfügen. Oder ist das alles womöglich genau so gewollt? Mitunter fallen die Macken und Ungereimtheiten jedenfalls so aufdringlich aus (z.B. das geradezu bizarr unnatürlich laute Klackern der Absätze auf dem Asphalt oder die auffallend häufige Anwesenheit feingliedriger Objekte wie Maschendrahtzäune und Telefonkabel, die auf einer Konsole ohne Kantenglättung nunmal nicht anders als haarsträubend aussehen können), dass es kaum vorstellbar scheint, sie seien nicht mit vollem Vorsatz dort vorhanden.

Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise - Welcome to Le Carré!

Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise steht in den Startlöchern, hier der neuste Trailer zum Switch-Exklusivspiel.

Aber über technische Gesichtspunkte lässt sich noch mit viel gutem Willen hinwegsehen. Erst recht als Fan des Vorgängers und noch viel mehr als Switch-Spieler, als der man in grafischer Hinsicht ohnehin viel Mittelmaß gewohnt ist und tendenziell innere Werte eher zu schätzen weiß. Bedenklicher finde ich allerdings, dass Deadly Premonition 2 in jeder Hinsicht den Eindruck vermittelt, dass den Entwicklern all die angesprochenen Kritikpunkte und Schludrigkeiten egal zu sein scheinen. Weil sie schon einmal damit durchgekommen sind. Oder noch schlimmer: weil die Fans genau das noch einmal erwarten. Doch letzten Endes beschädigen sie damit nur das Ansehen des Vorgängers, weil am Ende die allerschlimmste Schlussfolgerung offen im Raum steht: dass sie es einfach nicht besser können.

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