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Test - Das Schwarze Auge: Satinavs Ketten & Memoria : Fantasy-Meisterwerk endlich für PS4, PS5, Xbox und Switch

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Adventure-Spezialist Daedalic arbeitet weiterhin emsig an der Aufbereitung des eigenen Backkatalogs für Konsolen. Nach der vierteiligen Deponia-Trilogie und den hintersinnigen Humoresken um Edna und ihren sprechenden Stoffhasen Harvey erscheinen dieser Tage die beiden Abenteuer aus dem Fantasy-Universum von Das Schwarze Auge für PS4, PS5, Switch, Xbox One und Xbox Series X|S. Satinavs Ketten und Memoria wurden ursprünglich bereits 2012 und 2013 auf dem PC veröffentlicht und sind jetzt einzeln für jeweils moderate 19,99 Euro auf allen aktuellen Konsolen zum Download erhältlich.

Ein bisschen schade ist es schon, dass die beiden Spiele nicht direkt zum Start im Doppelpack erhältlich sind. Denn Das Schwarze Auge: Satinavs Ketten und sein Nachfolger Memoria schließen inhaltlich nahtlos aneinander an, und wenngleich sie auch einzeln ohne Vorkenntnis des jeweilig anderen problemlos spielbar und verständlich sind, erschließt sich der Gesamtzusammenhang des Fantasy-Epos, an dem sie gemeinsam schreiben, erst dann, wenn man sie wie die beiden Staffeln einer Serie hintereinanderweg „bingt“.

Schade ist das vor allem auch deshalb, weil der erste Teil Satinavs Ketten noch etwas zaghaft als naiv-belangloses Märchen beginnt und sich erst gegen Ende zu der epischen Tragödie aufschwingt, die den Nachfolger Memoria von Anfang bis Ende durchzieht und diesen zu einem der größten Adventure-Meisterwerke des letzten Jahrzehnts macht. In gewisser Weise verhalten sich Satinavs Ketten und Memoria zueinander wie der Hobbit zum Herrn der Ringe. Doch betrachten wir die beiden Spiele eins nach dem anderen …

Satinavs Ketten: ein Spiel wie aus dem Bilderbuch

Der junge Vogelfänger Geron hat ein schweres Los gezogen: Unglücksrabe und Pechvogel – so gebrandmarkt, begegnen ihm seine Mitbürger in der Stadt Andergast mit Argwohn, seit ihm vor vielen Jahren von einem Seher auf dem Scheiterhaufen geweissagt wurde, eines Tages Not und Verderben über das Land zu bringen.

Als eine Krähenplage Andergast heimsucht und seinen Bewohnern Albträume von Tod und Zerstörung bringt, sieht er seine Chance gekommen zu beweisen, dass er nicht der Unglücksbringer ist, für den ihn alle halten. Doch wie er bald herausfindet, sind die Krähen lediglich Vorboten eines viel größeren Unheils, das das ganze Land bedroht. Und so begibt er sich auf eine beschwerliche Reise, zu fernen Städten und hohen Gipfeln, tief ins feindliche Gebiet der Orks, bis über die Grenzen der Realität hinaus ins Land der Feen und sogar ins Reich der Träume ...

Schon auf dem PC bildete die aufwändig handgezeichnete Grafik des Spiels sein strahlendes Aushängeschild. Die Hintergründe sind mit schroffem Pinselstrich gezogen und imitieren darin den Stil der Artworks und Coverdesigns der „Das schwarze Auge“-Pen-and-Paper-Spiele - und entrücken die fantastische Welt dadurch auf eine Weise der Realität, in der sie wie mit Magie benetzt scheinen.

Ein Blick auf einen beliebigen Screenshot auf dieser Seite dürfte Bände sprechen: das atemberaubende Panorama über die schneebedeckten, gezackten Gipfel des Thaschgebirges, die majestätische Orkstatue bei den Blutzinnen oder die fast schon surreale Gestaltung der Zauberharfe - die Grafik von Satinavs Ketten zu betrachten, ist wie das Blättern durch ein schön gestaltetes Bilderbuch, und versetzt ein ums andere Mal in ehrfürchtiges Staunen.

Und das erstaunlicherweise heutzutage sogar noch stärker und effektvoller als bei der Erstveröffentlichung auf dem PC vor immerhin fast zehn Jahren. Denn was auf den verhältnismäßig futzeligen PC-Monitoren schon verzückte, auf denen das Spiel seinerzeit üblicherweise gespielt wurde, läuft auf den mittlerweile üblichen Großbild-Fernsehern zu einer völlig neuen Höchstform auf, die die beeindruckende Detailfülle der Bilder und die imposanten Landschaftsdarstellungen überhaupt erst richtig zur Geltung bringt. Regelmäßig legte ich beim Spielen den Controller beiseite, um einfach nur für ein paar Augenblicke die Szenerie zu betrachten und sie mit den Augen zu durchmessen wie ein Gemälde im Kunstmuseum.

Bis zur Mitte des Spiels erweckt das DSA-Adventure jedoch in seinem Aufbau, Rätsel-Design und beim Erzählen seiner Geschichte zunächst noch den Eindruck, als lege die Schwarze-Auge-Lizenz den Entwicklern die titelgebenden Ketten an: Reichlich verspielt und harmlos wirkt das naive Märchen vom unbedarften Vogelfänger und seiner kindlich-koketten Feenbegleiterin auf großer Fahrt, die im Gegensatz zu anderen Daedalic-Adventures wie Deponia oder Edna nicht durch eine riesige, nicht-lineare Spielwelt führt, sondern dem Fantasy-typischen Muster der episodischen Heldenreise folgt. Doch das Verdichten von Handlung und Atmosphäre, das diese Erzählweise bewirken soll, mag über lange Zeit nicht so recht gelingen. Statt in einen mitreißenden Sog zu ziehen, zerfleddert die Geschichte in an und für sich belanglose Streckenabschnitte entlang des Weges, wirkt das Geschehen bieder im Ton und unentschlossen auf der Suche nach seiner Zielgruppe.

Statt beispielsweise den Marsch hinter die feindlichen Linien ins Gebiet der furchterregenden Orks als gefährliche Prüfung des noch unerfahrenen Helden zu inszenieren, erwartet den Spieler dort lediglich ein für die Geschichte weitgehend irrelevanter Rätselsandkasten, wie er symptomatisch ist für die erste Hälfte des Spiels. Die einzelnen Kapitel verfügen meist nur über jeweils zwei bis drei bildschirmgroße Orte mit einer sehr überschaubaren Anzahl an Aktionsmöglichkeiten. Derart kompakt setzen sich die Puzzlestücke der Rätsel beim bloßen Schütteln schon fast wie von selbst zusammen und fühlen sich eher wie Bastelstunden in der Hobbythek an, denn großes Abenteuer. Wo das ähnlich phantastisch geartete Whispered World aus gleichem Hause zum Erkunden seiner malerischen Fantasywelt und der Begegnung mit ihren zauberhaften Bewohnern einlud, hetzt Satinavs Ketten seine Spieler eine Autobahn entlang, die keinen Platz zum Verweilen, geschweige denn zum Rätseln, der Geschichte wenig Luft zum Atmen und den Charakteren Raum zum Entfalten einer Persönlichkeit lässt.

Erst in seiner zweiten Hälfte befreit sich das Adventure auf einmal von seinen Ketten, geben die Entwickler ihrer Fantasie plötzlich die Sporen, wandelt sich das unschuldige Märchen unversehens in ein düsteres, geradezu trostloses und mitunter gar verstörend brutales Fantasy-Epos und legt damit auch die Marschrichtung fest, die der meisterliche Nachfolger von Anfang an einschlagen wird.

Ein besonderes Highlight etwa bildet der Besuch der surrealen Feenwelt, deren Dimensionen wie in einem Escher-Gemälde in sich verschlungen sind, in der das Gefieder eines Pfaus die Uhrzeit festlegt und ein Gemälde über die Jahreszeit entscheidet. Das Rätsel mit dem perspektivischen Wasserfall dort ist womöglich das gewitzteste, aber vermutlich auch gemeinste im ganzen Spiel. Wie generell die Rätsel immer dann zur Hochform auflaufen, wenn sie die verstaubte Schauen-Benutzen-Tradition standesgemäßer Inventar-Basteleien verlassen, etwa in der Szene, in der Geron gefesselt nur mithilfe seiner beiden Zaubersprüche agieren kann: zerbrechen und instandsetzen. Wenngleich das Spiel dadurch sogar ein Hauch von Rollenspiel-Flair durchströmt, bleiben die spielerischen Möglichkeiten aber nicht mehr als eine fesche Ergänzung zum Standardkanon des Adventure-Parsers. Das gelingt erst dem in jederlei Hinsicht besseren Nachfolger, auf den wir nun endlich zu sprechen kommen.

Memoria: Fantasy-Epos als Adventure-Meisterwerk

Memoria schließt nahtlos an das dramatische Ende des Vorgängers an: Dort musste Geron eine tragische Entscheidung treffen, die sein Leben und das seiner Feen-Freundin Nuri für immer veränderte. Einen Ausweg aus seinem Dilemma erhofft er sich von einem fahrenden Händler, der ihn in schicksalhafte Verwicklungen einweiht, die 450 Jahre zurück bis ins finsterste Zeitalter Aventuriens reichen und schon bald auch ihre unheilvollen Arme in die Gegenwart strecken.

Dort, am Vorabend einer der größten Schlachten in der Geschichte zwischen den Menschen und Dämonen, folgen wir den Abenteuern Prinzessin Sadjas, die sich einer verwegenen Abenteurergruppe auf der Suche nach einer mystischen Maske anschließt, deren Macht die entscheidende Wendung im bevorstehenden Krieg bringen soll. Doch Sadja gerät in den Bann eines sprechenden dämonischen Zauberstabs und damit in den Strudel von Ereignissen, die im Fantasy-Jargon gemeinhin mit der Vokabel „episch“ umschrieben werden.

Während Geron in Rückblicken nach und nach das Geheimnis um Sadja und ihre verhängnisvolle Liaison mit der magischen Kreatur zu rekonstruieren versucht, wird seine Heimatstadt Andergast von einem Dämon heimgesucht, der die Bewohner in Stein verwandelt und einen finsteren Plan zu verfolgen scheint, der auf mysteriöse Weise mit den lange zurückliegenden Ereignissen aus Gerons Visionen zusammenhängt.

Memoria erzählt seine Geschichte unvergleichlich geschickt in zwei parallelen Handlungssträngen im stetigen Wechsel, die zwar augenscheinlich voneinander unabhängig, nichtsdestotrotz auf rätselhafte Weise miteinander verwoben und einander wie Schatten des jeweils anderen erscheinen. Im Gegensatz zu den meisten Videospiel-Geschichten legt sie dem Spieler nicht lediglich Hindernisse in den Weg, verschließt keine Türen, um Schlüssel suchen zu lassen, sondern streut ihre Geheimnisse wie Brotkrumen aus, die als Köder den Weg weisen, den Spieler wie unter Hypnose anziehen und in einen ständigen Zustand der lodernden Neugier versetzen, wer sie wohl ausgelegt haben mag und wohin sie leiten.

Was führt der rätselhafte Dämon im Schilde? Welches dunkle Geheimnis umgibt Sadja und ihren zwielichtigen Zauberstab? Wie hängen all die Handlungsfäden, die Jahrhunderte umspannen, miteinander zusammen? Und wird es den Autoren gelingen, sie am Ende zufriedenstellend zu entwirren? Ähnlich wie die Serien Lost oder Dark beziehen die Autoren von Memoria ihre Spannung weniger aus dem Geschehen selbst als vielmehr aus den Fragen, die dieses in der Wechselwirkung mehrerer Zeitebenen aufwirft. Und wie die genannten Vorbilder liefern sie Antworten nur insoweit, wie sie, den Köpfen der Hydra gleich, mit jeder beantworteten Frage zwei neue hervorbringen können. Dabei spinnen sie ihre schicksalhaften Fäden derart kunstfertig zu einem prunkvollen Muster, dass sie sich, im Gegensatz zu manch genanntem Vorbild, kein einziges Mal darin verheddern.

Allein durch seine clevere Erzählweise gelingt es Memoria, selbst die spielerischen Schwächen seines Vorgängers abzuschütteln, sie mitunter gar ins Gegenteil zu verkehren und zu seiner Stärke zu machen. Schubste der Vorgänger den Spieler lediglich von einem Meilenstein zum nächsten, als wolle er ihn nicht auf große Abenteuerreise schicken, sondern lediglich die Bonusmeilen einheimsen, so hat zwar auch der Nachfolger die Siebenmeilenstiefel an, zieht daraus aber ein Kribbeln wie bei einer rauschenden Achterbahnfahrt. Wieder absolviert der Spieler statt heldenhafter Taten in erster Linie nur kleinteilige Basteleien, wie sie von Kritikern vor allem den Spielen der Geheimakte-Serie zum Vorwurf gemacht werden. Doch durch die enge Verzahnung von Erzählweise und Rätseldesign wirken sie nie wie unwürdige Beschäftigungen, die lediglich die Handlung aufhalten, sondern dienen dieser gar als notwendiger Nährboden zur vollen Entfaltung.

Wenn Sadja im Gebirge festsitzt und auf umständliche Weise eine Falle bauen muss, um einen Hasen fürs Mittagessen zu fangen, illustriert das die Strapazen und Entbehrungen ihres langen Marsches, gibt das dem Spiel die unschätzbare Gelegenheit, die Beziehung zwischen ihr und ihrem zwielichtigen Begleiter zu vertiefen. Wenn sie nahezu bewegungslos in der Grabkammer gefangen ist, schmiedet jede kleine Aktion die unheilige Allianz zwischen ihr und dem dämonischen Zauberstab. Hier werden keine Schokoriegel geschmolzen, hier werden Schritte getan einen tiefen, seelenlosen Abgrund hinab, aus dem es möglicherweise kein Entkommen mehr geben wird.

Auch die Zaubersprüche, die im ersten Teil zwar ein nettes i-Tüpfelchen bildeten, aber sonst nicht so richtig auf den Punkt kommen wollten, werden im Nachfolger weitaus geschickter und fantasievoller ins Rätsel-Design eingewoben – allein schon deshalb, weil es zahlenmäßig mehr sind. Sadja kann beispielsweise Lebewesen versteinern oder den Willen von Personen nach „Das sind nicht die Droiden“-Jedi-Art manipulieren.

Überhaupt: das Rätsel-Design! Zwar schlägt auch Memoria - wie eigentlich jedes Daedalic-Adventure - in seinem Bemühen um Originalität bisweilen über die Stränge, doch gelingt es ihm immer wieder, mit ungewöhnlichen Einfällen zu überraschen, Logik und Fantasie vor das Diktat des Inventarinhalts zu stellen. Etwa, wenn wir den Lügner in einer Gruppe Trunkenbolde anhand seiner Aussagen entlarven müssen, einen Suchtrupp durch gefälschte Befehle in die Irre leiten oder uns wie einst Ariadne mit ihrem Faden einen Weg durchs Labyrinth bahnen. Auch gelingt es dem Spiel immer wieder, auf fantasievolle Weise Kapital aus seinem phantastischen Szenario zu schlagen: Da verströmt eine Lampe Dunkelheit statt Licht, lässt sich ein Tropfen Rotwein zu einem Rubin versteinern, und das erste Kapitel des Spiels liefert gar eine verschmitzte Hommage an die typischen Party-Zankereien von Pen-and-Paper-Rollenspielen.

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