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Test - Cris Tales : Final-Fantasy-Hommage mit Zeitreise-Mechanik

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Hier waren beinharte Final-Fantasy-Fans am Werk. Mein Gott, man müsste blind und taub zugleich sein, um es nicht zu bemerken. Cris Tales wagt mehr als nur einen Abstecher in die 16-Bit-Ära der Square-Rollenspiele, denn die Entwickler von Dreams Uncorporated, SYCK und Poppy Works versuchen erst gar nicht, ihre Inspirationsquelle zu verstecken. Nur wäre das für heutige RPG-Standards zu wenig, wenn nicht die ausgezeichnete Zeitreise-Spielmechanik das komplette Spiel retten würde.

Wie lange habe ich das schon nicht mehr gesehen. All diese klassischen Final-Fantasy-Elemente der 8- und 16-Bit-Ära, angefangen bei der räumlichen Aufteilung der Party im Kampf über das damals übliche begrenzte Speichern auf der Oberwelt bis hin zum klassischen Zelt als Auffrischungslager.

Von der Pixelgrafik von damals fehlt derweil jede Spur. Stattdessen bezirzen fein gezeichnete, aber auffällig zweidimensional gestaltete Bilder in hellen Pastellfarben das Auge. Welch ein interessanter Stil: Alles scheint auf Polygon-Scheiben zu liegen, was den Grafikkünstlern ermöglicht, vereinzelte 3D-Elemente einzuflechten, die aber mit voller Absicht ebenfalls ein flaches Erscheinungsbild pflegen. Da die Kamera immer nur in eine Richtung schaut, selbst wenn sie sich in die Tiefe einer Szenerie hineinbewegt, erinnert das Ganze an einen Mix aus einem Pop-up-Buch und einem Papp-Diorama. Richtig schön und zugleich so ressourcensparend, dass selbst Nintendos Switch das alles aus dem Ärmel schüttelt.

Wenn man über die erheblich modernere Darstellung hinwegsieht und stattdessen die Grundgestaltung beäugt – insbesondere was die Menüführung und die Art der Sonderfertigkeiten angeht – kommen allerdings noch mehr Hinweise zutage, die verraten, dass die Entwickler von Cris Tales viele Stunden mit den Final-Fantasy-Teilen 2 bis 7 verbracht haben. Für mich als großer Fan der Reihe eine angenehme Nostalgieparade. Mein fünfzehnjähriges früheres Ich gluckst vor Freude.

Aus der Zeit gefallen

Mein heutiges Gewissen tappt derweil mit allen Fingern rhythmisch auf den Tisch und murmelt: „Hoffentlich kommt da noch was“, denn so schön Nostalgie auch sein mag, sie umschifft nicht jene Erwartungen, die man heutzutage an ein Rollenspiel stellt. Selbst Final Fantasy 6 – ein Meisterwerk seiner Zeit – würde heute gegen Genrekollegen aus der Persona-Reihe oder etwa das grandiose Yakuza: Like a Dragon den Kürzeren ziehen. Zu altbacken, zu umständlich, zu steif wäre es, um gegen diese Konkurrenz zu bestehen, und Cris Tales schneidet sich in einigen Aspekten eine viel zu große Scheibe davon ab.

Zufallskämpfe gegen unsichtbare Oberwelt-Gruppen? Steifes herunterkloppen nach Zeitwert? Puh, das sind heutzutage harte Brocken für RPG-Fans, wenn kein tieferer Sinn dahinter zu finden ist. Etwa, wenn das Spiel viel Grinding voraussetzt, um die Gruppe zu stärken. Das ist aber in Cris Tales nicht der Fall. Wozu also die nervige Zwangsunterbrechung nach jedem gefühlten zehnten bis zwölften Schritt? PC-Spieler können in dieser Hinsicht glücklich sein, dass die Ladezeiten für den Kampfbildschirm unter einer Sekunde liegen. Auf den Konsolen sieht das anders aus.

Wenn ich sage, Cris Tales erinnert an Final Fantasy 6 (was auch seine guten Seiten hat), dann gilt das allerdings vornehmlich für die Spielmechanik. An der Story von Final Fantasy 6 ist weiterhin nichts auszusetzen, aber genau in diesem Segment kann Cris Tales nicht mithalten. Ausgerechnet hier schwächelt das Rollenspiel, obwohl sämtliche engagierten Sprecher der durchweg in Englisch vollvertonten Dialoge versuchen, die Mär möglichst mitreißend zu erzählen. Großartige Ambitionen, verteilt wie zu viel Butter auf zu wenig Story-Brot.

Erzählt wird nämlich die Geschichte des Mädchens Crisbell, das im Waisenhaus aufwächst, aber durch einen Frosch namens Matias auf ihr besonderes Talent hingewiesen wird. Sie verfügt über Kräfte, die den Ablauf der Zeit verändern können. Genauer gesagt, vermag sie in die Zukunft und in die Vergangenheit zu schauen oder gar ihren Frosch-Begleiter für eine kurze Weile in eine dieser Zeitzonen zu schicken, damit er kleine, aber wichtige Veränderungen vornimmt. Veränderungen mit weitreichenden Konsequenzen, die man als Spieler abwägen muss.

Das ist grundsätzlich ein nettes Stilmittel für die Erzählung, aber der Ablauf ist viel zu hastig. Man huscht als Spieler von einem Event zum nächsten und kann gar nicht nachvollziehen, wie sich die Figuren an ihr Schicksal gewöhnen. Diese Hallo-und-Tschüss-Mentalität hinterlässt ein großes Loch in der Glaubwürdigkeit, völlig gleich, wie großartig das Voice-Acting ausfällt.

Interessant und doch halbgar

Zukunft? Vergangenheit? Nun ja, das sind sehr schwammige Eingrenzungen. Es muss sich wohl um mehrere Jahre handeln, da Crisbell (beziehungsweise ich als Spieler) mithilfe der dreiecksförmigen Splitscreens sehen kann, wie ein Kleinkind der Gegenwart irgendwann als Schulkind aussieht und wie eine Stadt durch Holzfäule über Jahre hin verrottet. Wobei Zeit als Faktor allein auch nicht so ganz hinkommt. Vielmehr sind es Alterungsvariablen. In einem Kampf erhält man beispielsweise Einblick auf frühere Zustände von gegnerischen Monstern. Etwa auf Wölfe als Welpen oder als ausgewachsene, erfahrene Jäger, die noch gefährlicher sind als ihr aktuelles Gegenüber.

Cris Tales nimmt es nicht so genau - weder mit seiner erzählerischen noch mit seiner spielerischen Logik. Aber wenn man nicht miesepetrig nach den (mannigfaltig vorhandenen) Schwachstellen darin sucht, sondern das Feature der Zeitmanipulation dankend annimmt, entfaltet sich daraus eine Spielmechanik, die den arg klassischen, JRPG-typischen Rundenkampf auf interessante Weise beeinflusst und taktisch bestimmt. Sie rettet das Spiel vor dem Fall in die Mittelmäßigkeit.

Die angesprochene Final-Fantasy-Grundstellung im Kampf wird aufgrund dessen nämlich in zwei Richtungen aufgeteilt. Auf der linken Seite des Bildschirms darf in die Vergangenheit gesprungen werden, auf der rechten hingegen in die Zukunft. Wobei die Richtungen später durch eine besondere Fertigkeit auch vertauscht werden können, um den Effekt umzudrehen. Crisbells Kampftruppe kombiniert die Zeitverschiebung auf Wunsch mit diversen Spezialfertigkeiten. Gestreutes Gift, das seine Wirkung normalerweise schubweise entfalten würde, hat in der Zukunft bereits maximalen Schaden angerichtet. Gegner, die auf Gift empfindlich reagieren, sterben also sofort, wenn Crisbell sie in die Zukunft schickt. Welpen der Vergangenheit bringen hingegen weder viele Hitpoints noch starke Verteidigungswerte auf die Waage.

Mein erstes Mal mit ... - Cris Tales

Pirmin schaut sich im heutigen "Mein erstes Mal" Cris Tales an, ein klassisches JRPG mit einem wunderschönen Grafikstil.

Je komplexer das Kampfszenario (soll heißen je gewitzter die Verteidigungsmechanismen besonderer Gegner), desto unterhaltsamer der Einsatz der Zeitverschiebung. Elementarkräfte und Zauber im Stile von Chrono Trigger mit verzögerten Wirkungsmechanismen regen die grauen Zellen an. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass sehr viele Kämpfe gegen belanglose Gegner nach einem Standardschema ablaufen. Einerseits, weil sich keine Spezialfertigkeit herauskristallisiert, die einem dahergelaufenen Mob die Leviten liest, andererseits, weil jeder Zeitsprung, wie auch die Auflösung einer Zeitverschiebung Skillpunkte kostet, die man lieber für härtere Begegnungen aufspart. Gäbe es die zusätzlichen Echtzeit-Reaktionen nicht, die vom Spieler verlangen, einen Angriff zum richtigen Zeitpunkt per Knopfdruck zu verdoppeln, würde man bei gewissen Random-Encounters glatt einschlafen.

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