Test - Super Mario RPG : Test: Selten war ein RPG so witzig und ein Remake so originalgetreu
- NSw
Lang bevor Nintendo die Paper-Mario-Serie ersann, durfte Rollenspielprofi Square den berühmtesten aller Jump-and-Run-Helden auf genrefremde Pfade führen. Mario meets Final Fantasy klang für Super-Nintendo-Besitzer entweder genial oder meschugge, und Super Mario RPG war irgendwie beides zugleich. Statt Gumbas plattzuhüpfen, rettete er das Pilzkönigreich durch Zahlenschieberei und entlockte seinen Fans dabei noch einige herzhafte Lacher. Das Remake für die Switch zeigt, wieso das Konzept 27 Jahre später noch immer eine Daseinsberechtigung hat.
Mit der Behauptung, Super Mario RPG sei ein gefeierter Klassiker, der ein Remake längst verdient hat, könnte ich es mir bei diesem Test furchtbar einfach machen. Ich könnte schlicht in Erinnerungen schwelgen, die Knuffigkeit von Marios neuen Freunden Mallow und Geno beschreiben, die humorvoll erzählte Handlung rund um die Suche nach sieben Sternteilen in den Himmel loben und euch mit der Aussage vertrösten, es sei heute noch ein Spitzenspiel. Ach was, Sherlock! Wäre dem nicht so, hätte wohl kaum jemand Geld in das Design eines rundum aufgepeppten Remakes für Nintendos Switch investiert.
Nein, so einfach ist es nicht, und das soll auch nicht der Kern meiner Aussage sein. Mein Punkt ist folgender: Abseits meiner Huldigung des allmächtigen Floskel-Gotts könnte mir kaum ein Europäer einen Strick aus diesen Aussagen drehen, weil die Wenigsten überhaupt etwas dazu sagen können.
Denn Super Mario RPG erschien bei seiner Premiere im Jahr 1996 gar nicht erst in Europa. Weder das amerikanische Modul noch die japanische Fassung ließen sich auf einem hiesigen Super Nintendo abspielen, weil selbst die besten Import-Adapter versagten. Der auf der Platine verlötete SA-1-Rechenhelfer vermieste sogar der Emulations-Szene auf dem PC bis in die frühen 2000er Jahre hinein den Spaß.
Als das Spiel dann dank der Wii-Virtual-Console zum ersten Mal offiziell bei uns zu haben war, ließ sich die Faszination kaum noch nachvollziehen. Im Jahr 2008 sah jeder, wie schlecht die vorgerenderte Grafik bei diesem Spiel gealtert war. Kein Vergleich zu anderen Klassikern mit ähnlichem Grafikstil, siehe Donkey Kong Country oder Vectorman. Und selbst spielerisch wurde Super Mario RPG ausgebremst, weil Rollenspiele zu dieser Zeit eine völlig andere Dynamik bevorzugten. Rundenbasierte RPGs wurden als träges, zeitraubendes Menügewusel verschrien.
Warum also ließen sich Nintendo und Square zu einem Remake hinreißen? Wie klassisch muss ein Spiel sein, damit aus seinen Schwächen wieder Stärken werden? Wer das Trailer-Material mit YouTube-Videos vom Original vergleicht, stellt schließlich fest, dass auf den ersten Blick kaum mehr als die Grafik modernisiert wurde.
Erfrischend unkompliziert und ungemein witzig
Was definiert denn klassisch? Ist es die isometrische Vogelperspektive auf das Geschehen, die auch im Switch-Remake konsequent eingehalten wird? Das Menügewusel beim Aussuchen von Standard-Angriffen, Zaubersprüchen und sogenannten Techniken, wie man es aus den Final-Fantasy-Episoden eins bis dreizehn kannte?
Durchaus, aber das ist nicht, was Super Mario RPG ausmacht. Kontext zu einigen Designentscheidungen entsteht erst, wenn man sich vor Augen führt, dass Super Mario RPG aus einer Zeit stammt, als Square und Enix noch Konkurrenten waren, 3D-Grafik noch furchtbar grob aussah und Mario noch keine Stimme hatte.
Ein trivialer Fakt? Mitnichten: Mario spricht in Super Mario RPG kein Wort. Nicht mal in geschriebener Form, damit man sich seine Stimme nicht im Geiste vorstellen muss. Und das ausgerechnet im Spielgenre mit dem größten Laber-Rhabarber-Faktor seit der Ära der Textadventures.
Wenn Mario seinen Freunden davon erzählt, wie er die mal wieder entführte Prinzessin Peach nicht retten konnte, weil Bowsers Festung von einem noch gemeineren Fiesling namens Schmiedrich besetzt wurde, dann nutzt er wilde pantomimische Gestiken und Slapstick-Einlagen.
So etwas ist man gar nicht mehr gewöhnt, aber es ist ungemein witzig. Jegliche Kommunikation Marios resultiert in völlig überzeichneten Animationen, die keine Graustufen zwischen Freude, schlechter Laune und Trauer kennen. Alle anderen Charaktere sprechen zwar per Textbox, eifern dem Titelhelden aber in ihren Gestiken so sehr nach, dass gar nicht so viel Geschriebenes nötig ist.
Wow. Das ist erfrischend … altmodisch? Nein, erfrischend unkompliziert! Ein Trend, der sich durch das gesamte Spiel zieht.
Siehe das Kampfsystem: Es entspricht in vielerlei Hinsicht dem der 16-Bit-Final Fantasy-Teile. Trifft man auf der Oberwelt auf eine Gegnertruppe, wird also in eine spezielle Schlacht-Ansicht umgeschaltet, sodass jeder der maximal drei Party-Mitglieder nacheinander Aktionen ausführen kann.
Um Marios Jump-And-Run-Traditionen in ein Rollenspielkorsett zu zwängen, entschlackte Square das System allerdings radikal. Schlachten verlaufen schnell, Menüs beschränken sich auf eine Handvoll Aktionen, Schwächen und Talente von Freund und Feind meiden Zweideutigkeiten. Sogar Erfahrungspunkte und Hitpoints bewegen sich im Rahmen von zwei- und dreistelligen Summen, sodass sie Anfänger nicht überfordern.
Seiner Zeit weit voraus
Damit weder strategische Tiefe noch Abwechslung im Kampf darunter leiden, fügten die Entwickler eine Echtzeitkomponente hinzu. Fast jeder ausgeführte Angriff kann nämlich durch ein korrekt getimtes Betätigen des Aktionsknopfs noch einmal verstärkt werden. Das gilt auch für die Verteidigung. Drückt ihr den Aktionsknopf innerhalb eines bestimmten Zeitfensters, während ein Feind zuschlägt, reduziert sich der erlittene Schaden. Der Zeitpunkt dafür ist nicht immer derselbe. Im Gegenteil: Er ändert sich bei jedem Gegner und bei jeder Waffe, die man der Heldentruppe in die Hand drückt, und muss daher ständig neu erlernt werden.
Durch diesen einfachen, aber genialen Kniff kommt ihr in den Schlachten nie dazu, in einen Trott zu verfallen. Ihr müsst selbst bei diesem theoretischen, höchst statistischen Zahlengeschiebe zwischen Angriffs- und Verteidigungswerten stets aufmerksam und aktiv bleiben, wenn ihr das Maximum herausholen wollt.
In dieser Hinsicht war das erste Rollenspiel des Klempners seiner Zeit weit voraus. Und genau darum wird Super Mario RPG auch im Remake nicht eine Sekunde langweilig, obwohl ihr in manchen Gegenden unzählige Gegnertruppen am Stück weggrindet.
Es ist genau dieser Mittelweg zwischen Strategie und Action, den moderne Runden-Rollenspiele suchen. Sea of Stars hat das System aus Super Mario RPG sogar fast eins zu eins übernommen. Deswegen ist auch nichts an der Tatsache auszusetzen, dass es im Switch-Remake unverändert bleibt. Die Kampfregeln wurden höchstens noch etwas verfeinert.
Genauigkeit zahlt sich aus
So ist es nun möglich, einen gegnerischen Angriff nicht nur abzuschwächen, sondern ihn komplett zu blockieren. Klappt aber nur, wenn das Timing für die Aktion hundertprozentig sitzt. Bei jeder Millisekunde zu viel bleibt es bei einer Schadensreduzierung. Im Angriff wird exaktes Timing hingegen durch einen größeren Angriffsradius belohnt, sodass eine Nahkampfattacke auch nebenan stehenden Gegnern einen geringen Schaden zufügt.
Abseits der reinen Zeitersparnis beim Bekämpfen größerer Gruppen addiert dieses Feintuning strategische Komponenten. Warum solltet ihr Ressourcen für flächendeckende Zaubersprüche verschwenden, wenn ihr bei gewissen Gelegenheiten auf ein wenig Geschick vertrauen könnt? Eine womöglich riskante Strategie, aber auch eine spannende.
Weitere Neuerungen: Mit jeder hintereinander geglückten Zusatzaktion gewährt ein Combo-Zähler zusätzliche Boni, während sich am linken Bildschirmrand eine runde Statusleiste füllt. Erreicht sie 100%, darf die Party neuerdings eine sogenannte Trio-Technik ausführen. Ob sie einen besonders heftigen Flächenschaden austeilt oder Schutz- und Heilzauber bringt, hängt von der Zusammensetzung der Kampftruppe ab. Zudem muss die Party zwingend drei lebende Mitglieder beinhalten.
Zugegeben, für Kenner des Materials wird Super Mario RPG dadurch einfacher als je zuvor, zumal das Timing für verstärkte Aktionen bei den ersten Versuchen anhand eines Ausrufezeichens signalisiert wird. Wildes Herumprobieren ist also nicht mehr nötig. Erst wenn ihr das Timing ein paar Mal erfolgreich eingehalten habt, müsst ihr ohne Hilfestellung klarkommen.
Somit lässt sich kaum leugnen, dass Rollenspiel-Profis vom Kampfsystem unterfordert werden. RPG-Einsteiger stehen klar im Vordergrund, was der neue, optional zuschaltbare Easy-Schwierigkeitsgrad abermals unterstreicht. Schade, ich hätte einen optionalen härteren Schwierigkeitsgrad für Kenner und Könner eher begrüßt.
Trotzdem werden auch RPG-Cracks, die sich durch Octopath Traveller, Dragon Quest 11 und andere Genrevertreter gearbeitet haben, ihre helle Freude an Super Mario RPG finden. Das Gesamtpaket stimmt einfach. Es gibt nicht viele Rätsel, aber wenn, dann sind sie unterhaltsam und teils knackig. Zufällig eingestreute Gegner mit besonders vielen Hitpoints beugen der Eintönigkeit vor und die letzten beiden Kapitel der Handlung ziehen im allgemeinen Schwierigkeitsgrad noch einmal an.
Story, Humor und das typische Mario-Gefühl
Selbst wenn dem nicht so wäre, hätte die Story genug auf der Pfanne, um zumindest einen schnellen Durchlauf zu rechtfertigen. Ähnlich wie bei anderen Square-Rollenspielen füttert die Handlung den Unterhaltungswert über weite Strecken hinweg so gut, dass sie in ihrer Bedeutung mit dem Kampfsystem gleichzieht.
Nicht, dass die Mär vom zersplitterten Wünsche-Stern in irgendeiner Form revolutionär wäre. Sie wird einfach nur schön erzählt und rückt Figuren wie den Wolkerich Mallow sowie die Holzpuppe Geno in den Vordergrund, die typische Rollenspielfiguren aus dem Hause Square darstellen, zugleich aber den Zuckerguss eines Nintendo-Klassikers tragen. An Mario-esquem Blödsinn fehlt es derweil keineswegs. Bowser, der diesmal auf der Seite der Helden mitmischt, lässt herzhafte Frotzeleien vom Stapel, während Peach eine tragende Rolle abseits der immerzu entführten Dame in Not erhält.
Selten durfte man in diesem Genre so viel schmunzeln und herzhaft lachen – mit Ausnahme des derben South-Park-Rollenspiels. Die erstmals in Deutsch verfügbare Lokalisierung trägt einen großen Teil dazu bei. Sie trifft den Nerv der englischen Vorlage hundertprozentig. Ich bin sogar der Meinung, dass sie an manchen Stellen besser ist. Ein Lob, zu dem ich mich als O-Ton-Verfechter selten hinreißen lasse.
Ihr werdet euch jedenfalls herrlich amüsieren, wenn ihr beim Analysieren von Gegnern einige ihrer schrägen Gedanken lest. Oder wenn eine Bande blauer Toads Mario erpresst, indem sie droht, einen alten Mann gnadenlos durchzukitzeln. Es gibt Bosse, die TV-Serien durch den Kakao ziehen, liebenswerte NPCs, versteckte Cameos anderer Nintendo-Figuren, Seitenhiebe auf Final-Fantasy-Endgegner und nicht zuletzt einen ganzen Stoß voller Mini-Games, in die man einige Zeit investieren muss, bevor man sie perfekt beherrscht.
Lasst euch also von der kurz klingenden Spielzeit von rund 25 bis 30 Stunden für einen einfachen Durchlauf nicht täuschen. Es geht um dicht gepackte Spieleabende ohne einen Hauch von Langeweile. Wollt ihr alle Minispiele perfektionieren und Nebenquests erfüllen, könnt ihr nochmal drei bis fünf Stunden draufrechnen.
Derweil genießt ihr eine Grafik, die selbst der schwachen Switch-Konsole keine Technik-Auszeichnung abringt. Es gibt sogar einige wenige Stellen, an denen sie unverständlicherweise ein wenig stottert, obwohl nichts auf dem Bildschirm zu sehen ist, was die Engine großartig belasten könnte.
Immerhin: die Grafik ist farbenfroh, stilsicher und fängt das Flair des Originals zu jeder Zeit ein. Statt der vorgerenderten Sprites von früher kommen nun echtzeitberechnete 3D-Modelle für Figuren und Hintergründe zum Einsatz. Sie orientieren sich so gut am Original-Grafikstil, dass man die für heutige Verhältnisse grob wirkende 256-Farben-Grafik vom Super Nintendo beinahe aus dem Gedächtnis streicht. Exakt so hätte das Spiel schon immer aussehen sollen.
Musik und Videosequenzen
Das gilt auch für die neu eingespielte Musikuntermalung. Das Super Nintendo war dank seiner Sample-Kanäle zu Erstaunlichem fähig. Komponistin Yoko Shimomura kitzelte wunderbare, teils schräge, quirlige, süße und spannungsgeladene Melodien bei wunderbarer Klangqualität aus der 16-Bit-Konsole heraus. Ein Soundtrack, der in gewissen Momenten sogar eines 16-Bit-Final-Fantasys würdig wäre und doch den typischen Super-Mario-Charme transportiert.
Diesen sowieso schon schönen Soundtrack in einer genial arrangierten und teil-orchestrierten Fassung zu hören, verleiht dem Spiel eine ungeahnte Qualität. Einen Vergleich dürft ihr selbst bemühen, denn im Spielmenü habt ihr jederzeit die Wahl zwischen neuer Orchestrierung und dem 16-Bit-Original.
Einzig die wenigen eingefügten Videosequenzen für Story-Einwürfe und Trio-Techniken wirken in meinen Augen etwas seltsam. Dass sie in 60 FPS gerendert wurden, ist cool, aber sie leiden bei einigen Szenen unter vielen sichtbaren Artefakten durch starke Kompression. Dabei hätten die Trio-Effekte auch in Echtzeitgrafik verwirklicht werden können.
>> Aus alt wird neu: Die 10 besten Spiele-Remakes <<
Erstaunlich finde ich zudem, dass einige Kamera-Einstellungen in den Story-Videos aufgrund seltsamer Zooms und unpassender Close-ups an frühe Full-Motion-Videos auf der ersten Playstation erinnern. Vielleicht ist das ja Absicht, um das Retro-Feeling zu wahren. Ich habe mich jedenfalls so sehr darüber gewundert, dass ich mich zwischenzeitlich fragte, ob Super Mario RPG womöglich einst für das gecancelte CD-Laufwerk des Super Nintendos geplant war und die Entwurfs-Storyboards der Videos ein Überbleibsel davon sind. Möglich wäre es, schließlich war auch Secret of Mana ursprünglich ein geplantes CD-ROM-Game, das mangels Abspiel-Hardware auf einem Modul landete.
Kommentarezum Artikel