Test - Life is Strange: Double Exposure : Test: Darauf haben die Fans gewartet
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Max Caulfield ist zurück. Life is Strange: Double Exposure ist dadurch gewissermaßen das „wahre“ Life is Strange 2, das die Geschichte des ersten Teils fortsetzt, nachdem die Fans mit dem Spin-off um die beiden Brüder im eigentlichen zweiten Teil fremdelten. Verantwortlich zeichnet zudem nicht Entwickler Don’t Nod, Schöpfer des Originals, sondern das Team von Deck Nine, das bereits mit den Ablegern Life is Strange: Before the Storm und zuletzt True Colors ihre Expertise in der Reihe unter Beweis stellte.
Seit den Ereignissen des ersten Teils von Life is Strange sind zehn Jahre vergangen. Max ist mittlerweile Dozentin für Fotografie an der altehrwürdigen Caledon-Universität und versucht dort, ein normales Leben zu führen ohne ihre Zeitreise-Kraft, mit der sie seinerzeit nur Unheil heraufbeschwor. Welches Ende ihr damals für das Schicksal von Arcadia Bay und Chloe gewählt habt, könnt ihr übrigens zu Beginn von Double Exposure in einem Dialog festlegen, worauf das Spiel immer mal wieder subtil Bezug nimmt.
Abgesehen davon erzählt der Nachfolger eine neue Geschichte, die keine Vorkenntnisse verlangt. Wir erleben Max als junge Dozentin, die sich den Respekt bei den meist arroganten, alteingesessenen Professoren zu verdienen sucht, während sie sich insgeheim noch zum Müßiggang des Studentenlebens hingezogen fühlt: Nachmittage beim Plausch mit den Kollegen in der Cafete, Abende mit unbeholfenen Flirtversuchen bei der flippigen Barkeeperin in der Campus-Kneipe. Auffällig häufig drehen sich die Gespräche um wehmütige Erinnerungen an unbeschwerte Partys und Saufgelage während des Studiums. Meist aber verbringt Max ihre Freizeit mit den gleichaltrigen Lehrkräften wie dem nerdigen Astrophysiker Connor und der forschen Literaturwissenschaftlerin Safi.
Einmal mehr bettet Life is Strange seinen Mystery-Thriller-Plot in einen zwischenmenschlichen Mikrokosmos aus ganz weltlichen Sorgen und Befindlichkeiten, der der Serie im emotionalen Grundrauschen zur Erfolgsformel wurde und in den das Verbrechen und Übersinnliche stets nur Einzug hielt, um es aus den Fugen zu heben.
Denn an einem besinnlichen Abend des weihnachtlichen Sternguckens im Schnee wird Max’ beste Freundin Safi brutal ermordet. Doch beim Versuch, ihre alte Superkraft zu reaktivieren und das Unglück ungeschehen zu machen, geht etwas schief und Max muss feststellen, dass sie über eine neue Fähigkeit verfügt. Sie kann zwischen zwei alternativen Realitäten reisen: ihrer eigenen, in der Safi tot ist. Und einer anderen, die der ersten weitgehend gleicht, aber in der ihre Freundin noch am Leben ist. Max nimmt die Ermittlungen auf und sucht in beiden Dimensionen nach Hinweisen auf die Identität des Killers, bevor dieser sein blutiges Werk vollenden kann ...
In the Multiverse of Sadness
Durch das Wandeln zwischen den Dimensionen erhält Life is Strange erstmals so etwas wie eine richtige Spielmechanik und rudimentäre Rätsel. Sonderlich knifflig oder anspruchsvoll werden diese nie, behindern dadurch aber eben auch nicht den Erzählfluss, sondern verstärken vielmehr die Faszination an der spannenden Prämisse vom Multiversum.
Wenn euch etwa in der einen Realität eine Polizeiabsperrung den Weg blockiert, springt ihr in die andere, in der es keinen Tatort gibt, und umgeht sie derart einfach. Wenn der Freund ein heikles Beweisstück an einem sicheren Ort versteckt hat, fragt ihr sein ahnungsloses Pendant in der anderen Welt danach, um es ausfindig zu machen. Indem Max das Tor ins andere Universum nur einen Spalt weit öffnet, ist sie zudem in der Lage, Personen aus der anderen Welt heimlich zu belauschen, um an brisante Informationen zu gelangen. Und sogar in Liebesangelegenheiten erhält sie in der Parallelwelt eine zweite Chance mit ihrem Schwarm, mit dem sie es in der ersten Realität verbockt hat.
Double Exposure rückt damit seine Mystery- und Thriller-Elemente stärker in den Vordergrund als in den bisherigen Teilen der Serie, wo das Übersinnliche meist nur im Hintergrund als Auslöser für das zwischenmenschliche Drama im Zentrum wirkte. Diese Fokusverschiebung erweist sich zur Abwechslung als durchaus erfrischend. Vor allem aber vermeidet das Spiel dadurch ein Problem, das ich schon immer mit den Spielen der Reihe hatte.
Denn indem es von Anfang an den Mordfall zum zentralen Thema macht, wirkt der Crime-Plot weniger aufgesetzt und fehl am Platze, wie es in den Vorgängern meist der Fall war. Ich denke da etwa an die hanebüchene Serienkiller-Enthüllung im ersten Teil, die überflüssige Entführung in Before the Storm oder die alberne Verschwörung in True Colors, die dem ansonsten angenehm persönlich geerdeten Drama die plumpe Räuberpistole auf die Brust setzte.
Life is Strange: Double Exposure gelingt es vor allem in seiner ersten Hälfte, seine unterschiedlichen Handlungsfäden zu einem kunstvollen Muster zu verweben aus spannendem Krimi, übersinnlichem Spektakel und menschlichem Melodram, das glaubhaft die Probleme junger Erwachsener verhandelt. Als Frischankömmling in der Welt der Elterngeneration sucht Max erst noch nach ihrem Platz im Leben, versucht sich Respekt bei der Kollegschaft zu verschaffen und nicht die eigenen Ideale aufzugeben im akademischen Ränkespiel der Eitelkeiten und Profilierungssucht.
Und als wäre die Ankunft im Ernst des Lebens der Berufswelt nicht schon hart genug, wird sie privat noch immer von denselben Sorgen geplagt wird, von denen man schon als Teenager heimgesucht wurde: die Angst vor Veränderung, Unsicherheiten in der Liebe, der Schmerz der Verantwortung, Versagensängste und Überforderung, aber auch die Schwierigkeiten des menschlichen Miteinanders in den Zeiten von Social Media und Online-Mobbing. Und über alledem geht es in Life is Strange: Double Exposure einmal mehr um die Bürde, Schicksalsschläge zu akzeptieren, um sich nicht selbst zu verlieren im verzweifelten Bestreben zu ändern, was nicht zu ändern ist.
Dass es den Entwicklern gelingt, all diese Themen vielschichtig zu verhandeln, ohne sie einfach nur platt breitzutreten, liegt an ihrer eleganten Erzählweise in Nuancen und Andeutungen, wie sie auch schon den ersten Teil prägte: Indem etwa die Nervosität von Freund Connor nicht durch einen plumpen Dialog der Marke „Ich bin so nervös“ signalisiert wird, sondern lediglich durch das neurotische Klappern seiner Finger, oder die gemobbte Kollegin nur durch einen trotzigen Schluck aus der Flasche ihren Unmut über die Welt zum Ausdruck bringt, dann sagen solcherlei Gesten so viel mehr als tausend Worte.
Auch der Grafikstil in der Unreal Engine trägt einen nicht zu unterschätzenden Anteil dazu bei. Zwar ist die rein technische Qualität weit entfernt vom Semi-Fotorealismus ähnlich gelagerter Spiele von Supermassive Games (Until Dawn) oder Quantic Dream (Detroit: Become Human), Double Exposure schließt aber einen gelungenen Kompromiss aus moderner Technik und dem reduzierten Look des ersten Teils. Realistisch animierte Haare statt dessen Betonfrisuren lassen die Charaktere lebendiger erscheinen, und geschickt eingesetzte Beleuchtung wie die bunte Weihnachtsdekoration in der Studentenkneipe verstärken Atmosphäre und Emotionen, die dem Spiel auf der Erzählebene ja so wichtig sind.
Vor allem aber ist es die Mimik der Charaktere, die oftmals mehr Auskunft über die aktuelle Gemütslage der Figuren gibt als die Worte, die sie gerade sprechen: Max’ Stirnrunzeln angesichts unglaublicher Ereignisse, die arrogant hochgezogene Augenbraue des selbstverliebten Bestsellerautors oder das provozierende Lächeln im Mundwinkel des flirtenden Dates.
WTF ist da gerade passiert?!
Nichtsdestotrotz wirkt die zwischenmenschliche Ebene im Gegensatz zu den bisherigen Titeln des Franchise eher im Hintergrund. Seinen vorrangigen emotionalen Effekt bezieht das Spiel aus den überraschenden Mindfuck-Wendungen, die mehr als einmal die Richtung der Geschichte komplett zu verändern scheinen und jedes Mal geradezu schockierend die Frage aufwerfen: WTF ist da gerade passiert?! Und vor allem: wie wird die Geschichte das auflösen?
Genau hier liegt aber auch das große Problem des Spiels: Aus ihrem Dickicht der Handlungsfäden findet die Autoren keinen zufriedenstellenden Ausweg mehr. Statt das Wollknäuel aus Story-Wendungen schlussendlich einer cleveren Auflösung zuzuführen, sehen sich die Autoren wie einst Alexander der Große im Angesicht des gordischen Knotens nicht anders in der Lage es zu lösen, als es schlicht und plump gewaltsam zu durchtrennen.
Das letzte Drittel des Spiels erschöpft sich folglich in verzweifelten Erklärungsversuchen, die entstandenen Logiklöcher wenigstens behelfsmäßig zu stopfen, statt sie sinnvoll zu füllen. Das Ergebnis fällt leider reichlich unbefriedigend aus und veranschaulicht lediglich die Hilflosigkeit der Autoren, sich aus der Sackgasse, in die sie sich mit ihren zahlreichen Haken zuvor noch so effekthascherisch geschlagen haben, irgendwie wieder rauszumogeln. „Ist dann halt so“, muss als Erklärung auch einfach mal reichen.
Dabei wird einem dann auch gewahr, dass Life is Strange: Double Exposure im Bestreben, das Wohlwollen der Fans zurückzugewinnen, das mit dem zweiten Teil verloren ging, etwas uninspiriert über weite Strecken nur den Ablauf und die Handlung des ersten Teils wiederholt und sich umgekehrt im Versuch, in unerwarteten Momenten davon abzuweichen, ungelenk anstellt.
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