Test - Ghostwire: Tokyo : Geniale Geisterjagd oder lahmer Spuk?
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Im Tokioter Stadtteil Shibuya findet alle paar Minuten ein Großereignis statt, das es auf der Welt wohl kein zweites Mal gibt: An einer riesigen Ampelkreuzung nahe des Bahnhofs wechseln bis zu 3000 Menschen gleichzeitig die Straßenseiten. Nun aber stellt euch vor, von all diesen Personen würden nur noch Jacken, Hosen und Schuhe auf der Straße übrig bleiben. Dann habt ihr den Auftakt von Ghostwire: Tokyo.
Ein plötzlich auftretender Nebel fegt auf einen Schlag nicht nur die berühmte Kreuzung, sondern gleich den gesamten Bezirk leer. Statt einer bunten Menschenmenge treiben sich fortan geisterhafte Wesen in den Straßen und Gassen herum. Und auf den großen Werbebildschirmen der Kaufhäuser ist ein gruseliger Maskenmann namens Hannya zu sehen, der offensichtlich für das apokalyptische Szenario verantwortlich ist.
Mit Magie gegen das Mysteriöse
Was es mit all dem auf sich hat, sollt ihr in Gestalt des jungen Mannes Akito herausfinden. Aber ganz menschlich ist auch er nicht mehr: Ein Geist namens KK hat seinen Körper übernommen, um ihn für den Kampf gegen die sogenannten Besucher zu nutzen. Zunächst weigert sich Akito vehement dagegen. Doch als seine Schwester von Hannya gekidnappt wird, lässt er sich auf die ungewöhnliche Kooperation ein.
Ungewöhnlich ist dabei noch milde ausgedrückt, denn die Symbiose verleiht Akito enorme Kräfte. Mit seinen Händen schleudert er Projektile aus Wind, Feuer und Wasser auf gesichtslose Anzugträger mit Regenschirm, hüpfende Schulmädchen ohne Kopf, fliegende Puppen und grässliche Frauen, die mit riesigen Scheren bewaffnet sind. Wer The Evil Within oder dessen Nachfolger gespielt hat, erkennt im Design der Kreaturen sofort die Handschrift des Entwicklers Tango Gameworks wieder.
Das Prozedere in den First-Person-Kämpfen bleibt stets gleich: Mit normalen oder aufgeladenen Angriffen schwächt ihr eure Gegner so weit, dass sie ihren leuchtenden Kern freigeben. Diesen kann Akito mit magischen Fäden ergreifen und herausreißen. Da sich die Monster berechenbar verhalten und meist nacheinander anrücken, reicht es fast immer rückwärts zu laufen, draufzuhalten und anschließend aus sicherer Entfernung die Kerne zu zerstören. Treffer zehren zwar gewaltig von eurer Lebensenergie, doch dank einer Vielzahl von Snacks wie Klebreis oder Instantnudeln seid ihr rasch wieder bei Kräften.
Apropos Kräfte: Die verbessern sich ständig, denn auch Ghostwire: Tokyo setzt auf das System der Erfahrungspunkte. Neben den Kämpfen gibt es aber noch eine weitere, deutlich einträglichere Möglichkeit, um eure Werte zu steigern. Überall in der Stadt schweben die Geister von Menschen herum, die der Nebel ausgelöscht hat. Diese fangt ihr mit kleinen Papierfiguren, den sogenannten Katashiro, ein. Anschließend tauscht ihr sie in einer der vielen Telefonzellen gegen Geld und XP. Das läuft ebenso nebenher wie die Jagd auf mythische japanische Kreaturen für weitere Upgrades oder das Auffinden von kleinen Schreinen, mit denen sich die Kapazität eurer magischen Geschosse erhöhen lässt.
Gezielt steuert ihr dagegen allerlei Nebenmissionen an, die über das Stadtgebiet verteilt sind. Dabei stehen die Schicksale der verschwundenen Menschen im Mittelpunkt. Unter anderem geht ihr den Selbstmorden in einer Firma auf den Grund, befreit ein Badehaus von bösen Mächten oder lüftet das Geheimnis um eine Klavierschülerin und ihr verfluchtes Instrument. Die kurzen und abgeschlossenen Geschichten finden an unterschiedlichen Orten statt und bieten spielerische Abwechslung: So müsst ihr mehrfach gar nicht kämpfen, sondern nach Informationen suchen, einen Gegenstand ausfindig machen oder unter Zeitdruck eine bestimmte Stelle erreichen.
Schickes Shibuya
Übernatürliche Kräfte, fiese Geister, verfluchte Schreine und magische Telefonzellen klingen bereits ziemlich abgefahren, sind aber längst nicht alles. Ihr schwingt euch mittels fliegender Tengu-Wesen auf die Dächer, werdet durch Portale in fremde Dimensionen gesogen oder durchquert Räume, in denen alles buchstäblich auf dem Kopf steht. Solche Abstecher in bizarre Welten passieren regelmäßig, sind aber oft nur von kurzer Dauer.
Die meiste Zeit seid ihr im nächtlichen Shibuya unterwegs. Das wurde mit viel Liebe zum Detail nachgebildet: Während riesige Neonreklamen und Kaufhäuser die Hauptstraßen säumen, finden sich zwischen den dicht an dicht gebauten Wohnblocks reichlich Gassen und Hinterhöfe mit schmalen Grünflächen, kleinen Tempeln und teils winzigen Geschäften oder Imbissen. Auch ein Abstecher in den Yoyogi-Park im Norden des Bezirks steht auf der Reiseroute.
Gleich überall hingehen könnt ihr allerdings nicht, denn ein tödlicher Nebel versperrt viele Wege. Um ihn loszuwerden, müsst ihr zunächst sogenannte Torii-Tore reinigen – nach kurzem Kampf und ein paar Handbewegungen ist das erledigt und der umliegende Bereich steht euch offen. Damit einher gehen weitere Nebenmissionen und Open-World-Aktivitäten, die auf der Karte vermerkt werden.
Grafisch setzt Ghostwire: Tokyo auf jede Menge künstliche Lichtquellen wie Straßenlaternen, Werbetafeln, Scheinwerfer verlassener Autos oder Neonröhren in Hauseingängen. Da es ständig regnet, spiegelt sich alles in Pfützen auf den Straßen und Fußwegen sowie an vielen Hausfassaden wider. Zusammen mit den effektreichen Kämpfen erwartet euch ein Farbenspiel, das für eine geradezu kunstvolle Ästhetik sorgt.
Auf der PS5 könnt ihr euch aus mehreren Grafikmodi die passende Einstellung heraussuchen. Qualität liefert eine 4K-Auflösung mit einem Maximum an Beleuchtung und Reflexionen, aber deutlich ruckelnden 30 FPS. Leistung setzt auf eine reduzierte Auflösung und 60 FPS, die hin und wieder wackeln. Vier weitere Modi stehen für Displays mit HFR-Unterstützung bereit. Die Eigenheiten des DualSense werden ebenfalls genutzt: Ihr spürt sanft den prasselnden Regen, erlebt bei euren Angriffen einen Widerstand in den Triggern und hört Geräusche sowie die Stimme von KK aus dem Controller-Lautsprecher. Sogar das Touchpad kommt für die Ausführung magischer Gesten gelegentlich zum Einsatz.
Spannungsarme Story
Der Titel des Spiels lässt etwas anderes vermuten, doch tatsächlich verbringt ihr das Abenteuer ausschließlich im Stadtteil Shibuya. Lediglich das Finale führt euch kurzzeitig in ein anderes Gebiet von Tokio. Entsprechend bald verliert die stilvolle Aufmachung einiges von ihrem Reiz, denn nach paar Stunden habt ihr die meisten Ecken mindestens ein Mal gesehen. Dazu wiederholen sich die Aufgaben, die euch in der offenen Welt begegnen. Stets geht es darum, Gegner zu besiegen oder Geister einzufangen – das wird schnell eintönig.
Außerdem braucht es die damit verbundenen Verbesserungen nicht, weil ihr die anspruchslosen Kämpfe problemlos mit den Standardaktionen für euch entscheidet. Somit verkommt der ganze Sammelkram zur reinen Beschäftigungstherapie für Leute, die es auf die Platin-Trophäe abgesehen haben. Und selbst ihnen dürfte es langweilig dabei werden, ungefähr zwanzigmal irgendeiner Kreatur hinterherzulaufen.
Lasst ihr all diese Ablenkungen außen vor und konzentriert euch auf die Story, seht ihr (auf dem mittleren der drei Schwierigkeitsgrade) nach knapp zehn Stunden das Ende. Doch gehaltvoll ist die Geschichte nicht. Wieso entführt Hannya ausgerechnet Akitos Schwester? Woher hat KK seine Kräfte? Was steckt hinter dem Nebel und den Monstern? Warum ist Akito der einzige Überlebende? Diese und weitere Themen werden entweder nur angeschnitten oder gar nicht berührt. Ebenso Mangelware sind große Momente oder besondere Herausforderungen, die den Trott aus Herumlaufen und Kämpfen zumindest auflockern. Allein mit den Wechseln in bizarre Dimensionen hätte man so viel mehr anstellen können ...
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