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Test - Doctor Strange : Das Beste, was Marvel seit Langem zu bieten hat

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    Mittlerweile ist es gar nicht mehr so absurd, davon auszugehen, dass einfach alle Filme, die ins Kino kommen, Marvel-Verfilmungen sind. Während wir uns also auf das nächste Cannes-Filmfestival ausschließlich mit Marvel-Filmen freuen, können wir uns einfach noch mal alle Teile der „Avengers“ anschauen. Oder wir gucken „Doctor Strange“ – er gehört nämlich zum Besten, was die neuerliche Welle der Comic-Streifen hervorgebracht hat.

    Kurioserweise sind es nicht allein die üblichen Stärken der Avengers und anderer, die sich hervorragend in das zauberhafte Spektakel übertragen lassen. Es sind vor allem die neue Perspektive und eine neue Qualität. Ein Beispiel: Wie üblich bei derartigen Origin-Storys bildet auch „Doctor Strange“ einen Dreiakter nach altbekannter Formel.

    Das erste Drittel zeigt Normalität und stellt den ursprünglichen Charakter mitsamt der Tragödie vor, die ihn verändert. Der zweite Akt beschreibt den Verwandlungsprozess, in dem nicht nur der normale Mensch zum Übermenschen wird, sondern sich auch als Person weiterentwickelt. Das Finale besteht dann aus der Konfrontation mit dem ersten großen Hindernis und Widersacher, dem Abschluss des ersten Handlungs- und Entwicklungsbogens.

    Wir kennen das alle und vielen wird es wie mir gehen, dass sie den ersten Akt in der Regel als eine etwas dröge Pflichterfüllung empfinden. Ja, ja, spindeldürrer Hänfling will in den Krieg, arroganter Waffenhändler zeigt seine Skrupellosigkeit, nordischer Gott hat zu viel Selbstsicherheit, alles klar ... Auch Doctor Stephen Stranges Geschichte beginnt wie so viele andere zuvor. Er ist ein brillanter Neurochirurg, lebt auf großem Fuß und mit noch größerem Ego und er versteht es prächtig, alle Leute in seinem Leben vor den Kopf zu stoßen.

    Es ist ein Autounfall, der seine Hände verkrüppelt und den nun verzweifelten Strange auf die Suche schickt. Nicht auf die Suche nach einem neuen Leben, obwohl er genau das finden wird. Die schiere Angst davor, seine Identität zu verlieren, zwingt Strange, seine kühle Ratio zu hinterfragen und einem esoterischen, geradezu magischen Lösungsansatz am anderen Ende der Welt nachzuspüren.

    Vielleicht ist es Benedict Cumberbatchs Talent, das ohnehin außer Frage steht, vielleicht ist es das pointierte, mit Gags und erschütternden Momenten gleichermaßen gefüllte Drehbuch – „Doctor Strange“ hat in Sachen Unterhaltung keine Anlaufphase und braucht sie auch nicht. Man ist von Anfang an gefesselt und will der Reise beiwohnen, bevor der schnöselige Arzt auch nur das erste Mal die Grenzen der bekannten Naturwissenschaft auslotet. Bevor er ein toller Comic-Film wird, ist „Doctor Strange“ schon tolles Programmkino – ein Kunststück, wie man es bislang von Marvel noch nicht kannte.

    Eine zaubernde Bruderschaft von Mönchen um die Führerin The Ancient One, fantastisch gespielt von Tilda Swinton, verspricht Strange Aussicht auf Heilung, zieht ihn aber gleichzeitig in einen Konflikt hinein, dem sich der gute Doktor nicht verschließen kann. Je mehr er über die Welten jenseits der seinen lernt, die ihm unter anderem das Wirken von magischen Sprüchen ermöglichen, desto mehr gerät er in die Schusslinie zwischen The Ancient One und ihrem ehemaligen Schüler Kaecilius. Dieser wird gegeben von einem leicht zu kurz kommenden Mads Mikkelsen, der die Erlösung der physischen Welt im extradimensionalen Monstrum Dormammu sieht – dessen Eroberung unserer Dimension würde eine Welt ohne Tod bringen, aber auch ohne Zeit und Fortschritt.

    Das auf den ersten Blick herkömmliche Handlungsgerüst weist aber neben den bereits erwähnten Leistungen der Darsteller und dem pfiffigen Script eine weitere Stärke auf, die „Doctor Strange“ nicht nur zu eigener Identität verhilft, sondern ihn meines Erachtens auch interessanter und besser als seine Comic-Kollegen macht: Die Außerweltlichkeit des Szenarios erlaubt es, dass die gewohnt üppige Finanzierung nicht in einstürzende Wolkenkratzer, Explosionen, Laser-Gewitter und Schlagabtausche investiert wird, sondern vielmehr in visuelle Effekte, die die Exotik von Stranges Welt unterstreichen.

    Die Kämpfe sind perspektivisch herausfordernde Bilderrätsel, losgelöst von Regeln wie Schwerkraft oder der inneren Logik unserer Welt. Vielmehr gleichen sie einem traumartigen Auf und Ab zwischen sich immer wieder verschiebenden und neu anordnenden architektonischen Versatzstücken, in deren Wirrwarr mit einer Mischung aus nachvollziehbarer, nicht beliebiger Magie und klassischen Martial Arts das Schicksal gleich mehrerer Welten ausgefochten wird und in deren ständigem Wechsel zwischen Heben und Fallen, Öffnen und Schließen, Substanz und Verschwinden sich die Figuren unterschiedlich gut behaupten – und dadurch vermitteln, wie mächtig sie bereits als Magier sind.

    Nichts ist dabei verwirrend oder nicht nachvollziehbar. Eine weitere Glanzleistung des Films ist es, diese eigentlich nicht auf Anhieb zu verstehenden Elemente visuell so gelungen zu kommunizieren, dass es den Zuschauer nicht nervt, sondern in seinen Bann schlägt.

    Es ist schwer, das in einem Text zu vermitteln. Für diejenigen, die Vergleiche lieben, könnte man sagen: Die Action in „Doctor Strange“ erinnert an die qualitativ hochwertigen Kämpfe aus „Avatar: The Last Airbender“, wo Aang und Konsorten ebenfalls mit einer Mischung aus Kung-Fu und Magie das Schicksal der Welt formen. Doch ausgetragen wird sie in einer animierten Zeichnung von M. C. Escher, in der Kinkerlitzchen wie oben und unten, einheitliche Gravitation und derlei nicht mehr störend im Weg stehen. Oder kürzer: Wie die Kämpfe in Bayonetta, ausgetragen auf den sich biegenden Häuserschluchten von „Inception“.

    Und selbst jenseits dessen kann „Doctor Strange“ visuell noch aufdrehen. Der erste Erweckungsmoment des guten Herrn Doktor etwa ist ein lang gezogener, kaleidoskopischer Fiebertraum von sich immer wieder verschiebenden Farben und Formen, die vor dem Auge des Zuschauers vorbeirasen. Sie erzeugen aber nicht etwa Kopfschmerz, sondern einen mitreißenden Rausch, der zwar natürlich im CGI-Zeitalter von Nörglern als uninspirierte Fleißarbeit von der Stange abgetan werden dürfte, hier unleugbar aber geschickt eingesetzt wurde.

    In dem, was man gemeinhin Popcorn-Kino nennt, ist „Doctor Strange“ einer der unterhaltsamsten Filme, die ich seit Jahren gesehen habe. Er ruft Gefühle hervor, erzeugt besondere Momente, traut sich sowohl Albernheit als auch ein fein dosiertes Maß an Pathos und das finale Ergebnis ist pure Unterhaltung. Ob man mit den Comics Berührung hatte, ist zwar nicht vollends egal, aber zweitrangig. Sieht man sich als echten Marvel-Cineasten und will einen Abend mit überraschend gutem Action-Kino verbringen, dann ist es Zeit für eine Sprechstunde beim Doktor.

    Fazit

    von Leo Schmidt
    Brillant! Einer der bislang besten Marvel-Filme

    Losgelöst von den sonstigen Fesseln der explosiven Comic-Abenteuer, die die große Leinwand erreichen, spielt „Doctor Strange“ in einer ganz anderen Liga. Das großzügige Budget verwandelt sich in unwirkliche Optik und perspektivisch überraschende Action, die Besetzung ist superb, das Drehbuch gleichsam gefühlvoll und witzig und keine Minute ist langweilig. Cumberbatch, Swinton und Mikkelsen spielen brillant bis zu einem cleveren Finale, das den Dreiakter auflöst, wie es sich für einen solchen Film gehört: mit Köpfchen und Schauwert. Das Publikum fühlt sich ernst genommen und, viel wichtiger, prächtigst unterhalten.

    Ob „Doctor Strange“ damit eine glänzende Zukunft als Filmreihe vor sich hat? Fraglich. Der Sorcerer Supreme war schon in seiner abgebrochenen Comic-Reihe fürs Massenpublikum zu gut und es steht die Frage im Raum, wie man langfristig filmreife Geschichten um eine Figur strickt, die jenseits ihrer Ursprungsstory schon früher keine klar gezogenen Grenzen ihrer Macht hatte. Zu wünschen wäre es dennoch, denn unter den eher ernsthaften und bodenständigen Action-Krachern aus dem Hause Marvel ist „Doctor Strange“ wahrscheinlich der beste Film, den der Comic-Gigant bislang hervorgebracht hat.

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