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Test - Anno 1800 : Das wahrscheinlich beste Anno aller Zeiten

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Der Rubel rollt

Die Geschichte der Kampagne könnte so oder so ähnlich direkt aus der Feder von Charles Dickens stammen: Ein hartherziger Oheim reißt das industrielle Familienimperium an sich, verleumdet den Vater, schickt die rechtmäßigen Erben ins Exil und schwärzt sie zu guter Letzt noch bei der Krone an. Doch auch nach diesem schmachvollen Verrat hat der Raffzahn nicht genug - ständig erreichen die Geschwister seine Forderungen nach Waren, vorgeblich um die Begräbniskosten des Vaters zu decken. Ihr revanchiert euch, indem ihr in seiner prunkvollen Stadt aufständische Arbeiter abwerbt und die Presse auf eure Seite zieht.

Sehr angenehm: Seine Geschichte transportiert Anno 1800 nicht über schwerfällige Zwischensequenzen, sondern inszeniert sie elegant mit einem majestätischen Kameraschwenk über die Insel eures Widersachers (mitsamt dem Friedhof, auf dem der Vater just begraben wird) und entlässt euch ohne sperriges Getue angenehm schnell ins Spiel.

Für die Schönbauer unter den Spielern bietet sich hier schon einmal ein Vorgeschmack darauf, welch prachtvolle Städte sich bei entsprechendem Fleiß errichten und mit allerlei liebevollen Details verzieren lassen. Höhepunkt einer jeden Metropole sind Prachtbauten wie Varieté, Zoo oder gar der Glaspalast der großen Weltausstellung - ein Monumentalprojekt ähnlich der Kathedrale in Anno 1404, das in mehreren Schritten erbaut wird.

Eine weitere sehr wohltuende Entscheidung der Entwickler ist, dass die Einzelspielerkampagne jetzt nicht mehr eine Einzelmission an die nächste reiht, sondern auf einer riesigen Karte stattfindet, die später sogar als Endlosspiel weitergeführt werden kann. Statt fortwährend von Karte zu Karte zu springen, seid ihr während des gesamten Spiels mit eurer aufstrebenden Industriestadt beschäftigt und müsst eben nicht in jedem Kapitel von vorne anfangen. Lediglich die Überfahrt nach Südamerika wechselt in ein anderes Gebiet. Diese Mechanik gab es auch schon in Anno 2205 mit der Mondsiedlung oder dem Polarcamp.

Nettes Detail: Immer wieder werdet ihr vor kleinere Entscheidungen gestellt. In einer Mission werdet ihr beispielsweise beauftragt, schiffbrüchige Gefangene vor dem sicheren Tod zu bewahren. Diese führen einen versiegelten Umschlag mit sich, den ihr entweder öffnen könnt oder verschlossen an euren Widersacher übergebt.

Neugierig, wie wir sind, haben wir den Brief gelesen und so erfahren, dass Edward Gefährten unseres Vaters bei der Krone angeschwärzt hat. Mit dieser Information verbessern wir unsere Beziehung zur Krone, die uns zum Dank eine Lizenz für eine eigene Schiffswerft zukommen lässt. Mehr als ein nettes Gimmick ist das natürlich nicht, da ihr auch über einen anderen Weg an diese Lizenz gelangen könnt.

Handelsrouten mal ganz klassisch

Nach Abschließen der Kampagne geht das Spiel nahtlos in das Endlosspiel über. Dafür dürft ihr nach Lust und Laune alle Parameter so einstellen, wie es euch gefällt. Mit den drei vordefinierten Schwierigkeitsgraden legt ihr fest, ob euch Kosten entstehen, wenn ihr Gebäude mit einem einfachen Klick verschiebt, oder wie hoch die Erstattung ausfällt, wenn ihr Produktionsstätten abreißt. Ihr möchtet harte Gegenspieler auf der Karte haben, aber dennoch mit viel Kapital starten? Ihr habt gerne Stress und lasst zufällige Ereignisse wie Feuer häufiger ausbrechen? Kein Problem, denn ihr seid Herr der entsprechenden Einstellungsregler.

Neu und in gewisser Weise auch alt sind die Handelsrouten. Sie sind wieder von klassischer Anno-Natur, also mit Waren, die in den Frachträumen der Schiffe von Insel zu Insel transportiert werden. Das geht angenehm leicht von der Hand. Produzierte Waren lassen sich bequem über Schiffe und Häfen miteinander verknüpfen, um den dauerhaften Austausch zwischen den Inseln zu gewährleisten. Wir erinnern uns: In Anno 2205 lief der Handel über ein Tabellenmenü, bei dem wir die verschiedenen Waren zwischen den separaten Zonen des Spiels - Hauptinsel, Mondbasis, Arktis - hin und her verschoben.

Aber auch Anno 1800 bringt nicht alle Klimazonen auf einer Karte unter. Ihr startet in einem europäisch anmutenden Archipel und könnt später Schiffe in die Neue Welt entsenden, um auch dort Inseln zu besiedeln. Dafür springt das Spiel nahezu verzögerungsfrei zwischen den verschiedenen Karten hin und her - eine technisch beeindruckende Leistung der Entwickler. Im Unterschied zu Anno 2205 ist es hier aber möglich, Handelsrouten von Karte zu Karte zu planen und beispielsweise Baumwolle aus transatlantischer Produktion zu verschiffen, die in Europa gebraucht wird. Das jeweilige Schiff verlässt in diesem Fall den Kartenrand und macht sich auf große Überfahrt.

Die Neue Welt erwartet euch

Das freut besonders die Veteranen unter den Anno-Spielern. In Anno 2205 waren die hergestellten Güter auf der gesamten Karte sofort und überall verfügbar. Die Inseln mussten lediglich mit Brücken verbunden sein, Fracht- oder sonstige Transportmittel wurden nur durch Logistikzentren erhöht. Das war vielen Fans dann doch zu abstrakt. In Anno 1800 könnt ihr den Weg eurer Waren wieder akribisch verfolgen.

Die Neue Welt, die in Anno 1800 als Rohstofflieferant dient, ist an ein fiktives Lateinamerika angelehnt und ähnelt spieltechnisch dem Orient aus Anno 1404 - nur dass die Orientinseln damals auf der gleichen Karte lagen wie die sattgrünen europäischen Gefilde. Um unsere Plantagen in Amerika zu bewirtschaften, benötigen wir zähe Jornaleros, die bei guter Versorgung zu sozial besser gestellten Obreros aufsteigen können.

Einen kritischen Kommentar zum 19. Jahrhundert bleibt uns Anno 1800 an dieser Stelle jedoch schuldig. Europäischer Kolonialismus findet im Spiel offensichtlich statt - schließlich betreiben wir Landnahme und Siedlungsbau in Amerika und nutzen dieses Ländereien dazu, unsere europäischen Fabriken, Städte und Bewohner mit Kolonialwaren und Rohstoffen noch weiter voranzubringen. Ob es moralisch vertretbar ist, auf anderen Kontinenten Siedlungen zu gründen, Plantagen freizuroden und Handelsposten zu errichten, wird nicht diskutiert.

In wessen Auftrag oder für welche Nation wir industriell Ruhm und Ehre einfahren und ein Kolonialreich errichten, verschleiert Anno 1800 sorgfältig. Ob wir als Spieler eine Staatsmacht mit Wirtschaftsinteressen, eine philanthropische Reederei mit Manufakturambitionen oder einen industriellen Räuberbaron verkörpern, bleibt offen. An Land sind wir jedenfalls für Behausung und Versorgung unserer Bewohner zuständig, während wir auf See beachtliche Flotten kommandieren. Allenfalls ein Vergleich mit der britischen Ostindienkompanie oder den Eisenbahngesellschaften des jungen Amerika könnte hier passen.

Was haben wir aus Platzgründen in diesem Test bisher nicht erwähnt? Anno 1800 sieht fantastisch aus und verfügt über ein Sounddesign, das die Atmosphäre perfekt unterstützt. Wir können Schiffe auf Expeditionen schicken, die als bezaubernde kleine Textabenteuer mit Auswahlmöglichkeiten dargestellt werden. Von Zeit zu Zeit publizieren wir eine Inselzeitung mit Nachrichten aus unserem Imperium, die wir sogar mit Fake News spicken dürfen. Schöngeister erhöhen die Attraktivität ihrer Insel, um die Bevölkerung in Ekstase zu versetzen und damit weitere Boni freizuschalten, und, und, und …

Bevor dieser Test ins Uferlose davonschwimmt, schließen wir an dieser Stelle besser ab und spielen weiter Anno 1800. Es ist ein fantastisches Spiel mit sagenhaft hohem Produktionswert, viel Liebe zum Detail und Spielspaß für Dutzende oder gar Hunderte Stunden.

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