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Special - Als die Filme spielen lernten : Wie Videospiele Film und Fernsehen beeinflussen

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    Früher lief es in der Regel so ab: Jeder halbwegs hoffnungsvolle Kinofilm wurde mit einer entsprechenden Videospielumsetzung bedacht. Qualität war dabei selten von Bedeutung. Hauptsache, das Ganze ließ sich irgendwie der Zielgruppe andrehen. Diese unglückliche Symbiose zwischen Spiel und Film ist in der jüngeren Vergangenheit immer seltener geworden. Es sind mittlerweile vielmehr die Videospiele, die ihrerseits ihre Spuren auf der Kinoleinwand oder der heimischen Mattscheibe hinterlassen.

    „Westworld“ ist eine der Fernsehserien der Stunde. Die HBO-Produktion über einen Wildwestpark, dessen androide Angestellte langsam ein Bewusstsein entwickeln, ist gespickt mit Videospielreferenzen. Die Showrunner Jonathan Nolan und Lisa Joy machen gar keinen Hehl daraus, dass man sich bei Story und Stil von Titeln wie BioShock und Red Dead Redemption inspirieren ließ. Westworld ist im Grunde nichts anderes als ein großes, sehr immersives MMORPG, bei dem die Gäste für teures Geld nahezu jede Fantasie ausleben können. Die sogenannten Hosts nehmen dabei die Rolle der NCPs ein. Sie folgen einer festgelegten Routine, sagen ihre programmierten Sätze auf und sterben in ihrer “Karriere” tausend Tode.

    Westworld of WarCraft

    Die meisten von uns werden sich in einem Spiel wie GTA V schon mal ungeniert dem Blutrausch hingegeben haben. Es sind ja schließlich nur Polygone, die man dort überfährt, erschießt und in die Luft sprengt. “Wen kümmert es schon, es sind doch nur Maschinen”, lautet entsprechend das Mantra der Betreiber von Westworld. Die Wesen aus dem 3-D-Drucker werden nach ihrem Ableben einfach repariert, ihr virtuelles Gedächtnis wird gelöscht und alles beginnt von vorne. Während sich die meisten Gästen damit begnügen, normale “Quests” zu absolvieren und “durchzuspielen”, gibt es andere wie den mysteriösen Man in Black, denen das nicht mehr reicht.

    Der in der Serie von Ed Harris verkörperte Revolverheld ist durch seine regelmäßigen Besuche in Westworld zum “Pro Gamer” geworden, der mittlerweile mehr daran interessiert ist, das Spiel aus den Angeln zu heben und Glitches auszunutzen. Zwei andere Gäste unterhalten sich in der Show sogar über “Easter Eggs”, die sie entdecken wollen. Das Westworld-Team entwirft konstant neue Storylines, um die Besucher bei Laune zu halten, vergleichbar mit Add-ons in einem Videospiel. Braucht man dafür neue Hosts, werden einfach neue entworfen oder alte umfunktioniert. Nolan und Joy wollen, dass man NPCs nicht nur als bloße Objekte zum Abschlachten und Anquatschen betrachtet, sondern wertschätzt, welche Arbeit in ihre Routinen und Dialoge gesteckt wurde.

    Der erste Kontakt

    Dass sich Film und Fernsehen thematisch bei Videospielen bedienen, ist allerdings kein gänzlich neues Phänomen. Bereits 1991 beschäftigte sich eine Folge von „Star Trek: The Next Generation“ mit einer Art Virtual-Reality-Spiel, mit dem die Crew der Enterprise manipuliert werden sollte. Leider dienten und dienen Videospiele in vielen US-Shows nur als Aufhänger für abstruse Fälle in Serien wie „CSI“ oder „Navy CIS“. Vor allem bei letzterer ist uns eine Folge negativ in Erinnerung geblieben, bei der ein Mörder Botschaften in einem unglaublich schlecht nachgeahmten und natürlich besonders brutalen Ego-Shooter versteckte. Undifferenzierte und oberflächliche Gewaltdiskussionen machten auch vor der Fernseh-Prime-Time keinen Halt.

    „The Big Bang Theory“ greift immerhin auf die richtigen Produkte zurück – eine Folge dreht sich zum Beispiel sehr prominent um Age of Conan –, nutzt Spiele in der Regel aber nur als Vehikel für die üblichen Gags über angeblich nicht lebensfähige Nerds und ihre ach so skurrilen Interessen. Besser macht es da die Zeichentrickfraktion. In einer „Futurama“-Episode greifen Aliens vom Planeten Nintenduu 64 unter der Führung von Donkey Kong die Erde an. Die letzte Hoffnung ruht auf Fry, der zum Glück viel Zeit mit Space Invaders verbrachte und so die feindlichen Raumschiffe vom Himmel holt. Die „South-Park“-Folge “Make Love, Not Warcraft” wurde 2007 sogar mit einem Emmy ausgezeichnet und ist zu einem Großteil mit Machinima-Szenen aus dem Spiel entstanden.

    Stilfrage

    Der mittlerweile überstrapazierte Begriff “Videospielästhetik” wurde mit Filmen wie „Matrix“ Ende der 90er-Jahre populär. Damals noch ein Statement des Staunens ob dieser für viele noch fremden Art der Unterhaltung, wurde die Formulierung immer mehr zu einem Synonym für billige CGI-Effekte und lieblose Ausstattung. Zweifelsohne gibt es diverse Videospiele, die wenig Wert auf grafische Abwechslung oder eine reichhaltige Farbpalette legen, aber “Videospielästhetik” als negativ besetzte Phrase zu benutzen, ist ungefähr so, als würde man das komplette Medium Film mit Machwerken wie der „Transformers“-Reihe gleichsetzen.

    Waren PC- und Konsolentitel lange nur eine optische Referenz, folgen diverse Zelluloidwerke jüngerer Zeit auch einer videospielartigen Struktur. Der Actionfilm „Crank“ mit Jason Statham wirkt wie ein Open-World-Spiel im GTA-Stil, bei dem ein paar Cheats hinzugeschaltet wurden. Bei den sehr ähnlich aufgebauten Filmen „Dredd“ und „The Raid“ müssen sich die Protagonisten jeweils durch ein Hochhaus voller Gegner schießen, um das letzte Level, also die oberste Etage, zu erreichen. Einen ähnlichen Aufbau – allerdings in einem fahrenden Zug – verfolgt der Geheimtipp „Snowpiercer“ des koreanischen Regisseurs Joon-ho Bong.

    In Zak Snyders „Sucker Punch“ betreten die weiblichen Hauptcharaktere verschiedene Traumwelten, die thematisch allesamt unterschiedlich gestaltet sind. Ein Weltkriegslevel ist ebenso mit dabei wie ein Fantasy-Szenario und ein fernöstlich anmutender Abschnitt. Die berühmte Kampfszene von „Old Boy“ erinnert hingegen auch aufgrund ihrer Perspektive und des langen Takes an einen klassischen Sidescroller. Ein außergewöhnliches Experiment ist der komplett in Egoperspektive gehaltene Actionfilm „Hardcore Henry“, der im April dieses Jahres in die Kinos kam. Dieses Stilmittel ist nicht neu, war bislang aber fast ausschließlich Found-Footage-Filmen wie „Cloverfield“ oder „REC“ vorbehalten.

    Live, die, repeat

    Ein zentraler Punkt in Videospielen ist das Scheitern. Vor allem in Titeln wie Dark Souls gehören der Tod und die Lehren, die man aus ihm zieht, zum Spielerlebnis dazu. Irgendwann ist die richtige Taktik gefunden und auch der übelste Endgegner verliert seinen Schrecken. „Edge of Tomorrow“ mit Tom Cruise folgt fast exakt diesem Muster. Durch einen Zwischenfall mit einer Alien-Substanz erlebt Major Bill Cage einen Tag immer und immer wieder. Sobald er stirbt, beginnt alles von vorn. Mit jedem Zyklus und reichlich Trial and Error kommt Cage ein kleines Stück weiter und erreicht im Laufe der Zeit verschiedene “Checkpoints”.

    Um Leben und Tod geht es auch in „Gamer“ von 2009, in dem verurteilte Verbrecher mit Hirnimplantaten ausgestattet werden und im Rahmen einer Show namens “Slayer” ferngesteuert Jagd aufeinander machen. Im Gegensatz zu „Westworld“ wird hier der Mensch selbst zum machtlosen Werkzeug. Die Zukunftsvision von „Gamer“ ging allerdings nicht gerade subtil mit dem Thema um, Schauwerte waren den Machern wichtiger als ein differenzierter Umgang mit ethischen Fragen.

    Gekommen, um zu bleiben

    Zum Schluss sei noch ein Film erwähnt, der nahezu alle hier angesprochenen Stilmittel in sich vereint: „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“. Videospiel-Jingles, hyperaktive Faustkämpfe, Charakter-Design wie aus einem Japan-RPG, die bereits erwähnte “Level-Struktur”, bei der Scott wie bei einem Beat-'em-up gegen die teuflischen Exfreunde von Ramona Flowers antreten muss ... Wer bei jeder Videospielreferenz einen Schnaps trinkt, erlebt das Ende des Films wahrscheinlich nicht mehr. Nicht zu vergessen Scotts Indie-Rock-Band namens Sex Bob-omb, benannt nach den laufenden Sprengkörpern aus den Super-Mario-Spielen.

    Videospiele haben ihre Nische längst verlassen. Wie sehr sie mittlerweile im Alltag verwurzelt sind, sieht man auch an dem Einfluss, den sie vor allem in der jüngeren Vergangenheit auf Fernsehserien und Kinofilme hatten. Da immer mehr talentierte Regisseure und Autoren mit dem Medium aufgewachsen sind, wird die Anzahl der sichtbaren Einflüsse in den kommenden Jahren gewiss noch zunehmen. Nicht alles wird funktionieren, vieles zu plump erscheinen oder ein Insider-Gag bleiben. Unsere Sehgewohnheiten werden sich aber weiter verändern – und Videospiele werden einen großen Anteil daran haben.

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