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Special - Kolumne: Bahnfahren : Reisegedanken von Bern nach Essen

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Guten Tag, liebe Mitmenschen. Ich mag euch nicht. Bitte nehmt es nicht persönlich. Ich weiß, dass die meisten von euch echt nett sind, aber in diesem Moment habe ich wirklich genug von euch. Ich sitze in meinem letzten Anschlusszug von Bern nach Essen und bin unendlich dankbar, dass ich soeben die zweite Etappe von Basel nach Mannheim überstanden habe. Ich fahre nicht oft Zug und der heutige Tag hat mir wieder einmal gezeigt, wie gut ich daran tue. Ihr denkt, die Luft auf LAN-Partys ist schlecht? Tja, dann solltet ihr öfter Zug fahren. Oder auch nicht.

Wäre ich Chef von Deutschland, würde ich als erste Amtshandlung ein paar neue Bahngesetze einführen:

Gesetz Nr. 1: Schuhe anbehalten!

Ernsthaft, wie egoistisch und ignorant muss man sein, um in einem vollbesetzten Großraumabteil auf die Idee zu kommen, die Schuhe auszuziehen? Ich bin ziemlicher Allergiker und derzeit ordentlich von Heuschnupfen geplagt - doch heute war der erste Tag, an dem ich dafür aufrichtig dankbar war. Allerdings war es selbst trotz hoffnungslos geschwollener Nasenschleimhäute im vorigen Zug unmöglich, diesem penetranten Käsegeruch zu entkommen.

Ich habe zwar die letzten fünf Tage in der Schweiz verbracht und so einiges an Käse - den ich im übrigen überhaupt nicht mag - gerochen, aber Mr. Unbekannt hat das eben mit Leichtigkeit getoppt. „Mr. Unbekannt" deshalb, weil ich bis zuletzt nicht herausgefunden habe, wessen Füße das waren. Wahrscheinlich der Typ direkt hinter mir, denn bei allen anderen habe ich völlig ungeniert checken können, ob sie ihre Schuhe noch anhaben.

Gesetz Nr. 2: Jeder Wagon muss zu öffnende Fenster haben.

Der Fußschweißgeruch hat mir ja echt schon gereicht, aber der Mensch ist nun mal eine stinkende Spezies (das wissen wir alle spätestens seit Matrix) und dünstet noch allerlei anderen Kram aus. Das wiederum sorgt in einem vollbesetzten Zug für einen vergleichsweise intensiven Cocktail und die kurzen Stopps an Bahnhöfen alle eineinhalb Stunden reichen bei weitem nicht aus, um einmal kräftig von Tür zu Tür durchzulüften.

Als ich eben in den dritten und letzten Zug eingestiegen bin, wäre ich fast wieder rückwärts herausgefallen. Vielleicht hätte ich das tun sollen. Die Luft hier ist erbärmlich. Hört ihr das, Deutsche-Bahn-Verantwortliche? Dass ihr nie pünktlich seid, ist ja echt nichts Neues, aber vielleicht bin ich die Erste, die euch sagt: Die Luft in euren Zügen ist ERBÄRMLICH!

Und auch sonst muss ich sagen, war ich schon in besserer Gesellschaft. Ich bin eigentlich kein Misanthrop, aber wenn der Großteil der Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung fett, hässlich und unhygienisch ist und noch dazu schnarcht, könnte ich zu einem werden.

Na ja, jedenfalls versuche ich, dem Elend, so gut es geht, zu entkommen, indem ich mich auf andere Dinge konzentriere. Und deshalb habe ich meinen kleinen weißen DS noch nie so sehr geliebt wie heute. Nicht nur, dass schier endlose Fahrtstunden schneller vorübergehen - nein, spätestens beim nächsten Endboss bin ich so damit beschäftigt, Power-Attacken zu verteilen, ohne selbst Schaden zu nehmen, dass mein Hirn vor lauter Konzentration wenigstens vorübergehend die Sinneswahrnehmung, und damit auch das Riechen, einstellt. Toll! Deshalb mein Rat an alle, die vielleicht demnächst auf ähnliche Reisen gehen: Nehmt euch was zu zocken mit, und zwar etwas, das euch richtig fordert und bloß keine weiteren Hirnkapazitäten zulässt.

Kurz vor der Ankunft in Mannheim habe ich übrigens meinen Platz im Fußschweißuniversum verlassen und mich schon mal in den Gang vor die Tür gestellt. Dort saßen, weil im Abteil kein Platz mehr frei war, zwei Typen auf dem Fußboden. Der eine las in einer Zeitschrift einen Artikel über 3D-Animationen und Texturen und der andere spielte auf seinem Handy Tetris. Das war der Moment, als ich erkannte, dass ich im Nachhinein meinen reservierten Sitzplatz mit Tisch, Handyzone und stinkenden Mitmenschen liebend gern geopfert hätte, um die Fahrtzeit, auf dem Boden sitzend, in solcher Gesellschaft zu verbringen. Wie sagt Tom Gerhardt so schön: Endlisch nomaaaale Leute!

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