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Special - Born to Kill - Gewalt in First-Person-Shootern : Special

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Es gibt Dinge, die bieten eine dermaßen große Angriffsfläche, dass selbst Menschen mit begrenztem Horizont kein Problem haben, einen Treffer zu landen. Wer im Bereich Computerspiele ein wirklich großes, plakatives Feindbild sucht, findet es bei den First-Person-Shootern.

Es gibt Dinge, die bieten eine dermaßen große Angriffsfläche, dass selbst Menschen mit extrem begrenztem Horizont kein Problem haben, hier einen Treffer zu landen. Vor allem wenn es selbst ernannte Kassandra-Rufer sind, die genügend negative Energie aufwenden können, um ganze buddhistische Klöster dem Erdboden gleichzumachen. Wer im Bereich Computerspiele ein wirklich großes, plakatives Feindbild sucht, findet es bei den First-Person-Shootern.

Der Ansatzpunkt liegt auf der Hand: Gewalt in der gesellschaftlich geächtetsten Form, dem Töten. Wobei noch erschwerend hinzukommt, dass es aus der Ego-Perspektive heraus geschieht und damit der Akt des Tötens sehr direkt und unmittelbar erscheint. Durch die Perfektionierung der grafischen Darstellung in den letzten Jahren entsteht zudem noch der Eindruck einer hohen Realitätsnähe. Im Gegensatz zu Strategiespielen fehlt hier jegliche Distanz zum Geschehen. Und das ist wirklich erschreckend, oder?

Nein, ist es nicht. Denn allein die Distanz zu gewalttätigen Handlungen untermauert keineswegs deren relative Harmlosigkeit. Eher schon das Gegenteil. Vom Gerechtigkeitsempfinden her (das sich in der Realität allerdings nicht zwangsläufig mit der rechtlichen Situation decken muss), scheint der General, der tausende von Menschen in den Tod (und zum Töten tausender anderer Menschen) schickt, grundsätzlich schuldiger zu sein als der einzelne Soldat, der im Normal-(Kriegs-)Fall nur einige wenige tötet. Unter diesem Gesichtspunkt sind Strategiespiele wesentlich kaltblütiger als First-Person-Shooter.

Doch das kann auch ganz anders aussehen. Wir erschrecken zum Beispiel eher vor dem Amokläufer, der fünf Menschen ermordet, als vor der Militärmaschinerie, die Zehntausende auf dem Gewissen hat. Das hat wahrscheinlich zwei Gründe. Zum einen die Nähe zur Tat, denn sowohl der Amokläufer wie auch der Soldat töten direkt und unmittelbar. Zum anderen, dass wir als Individuen offenbar Geschehnisse außerhalb unseres Tellerrandes, ob nun durch räumliche Entfernung, nicht fassbare Größenordnungen, mangelndes Wissen oder Hilflosigkeit gegenüber den Umständen, einfach nicht so bewusst wahrnehmen. Vielleicht ist es aber auch das, was der kluge Douglas Adams in einem seiner Romane "PAL-Syndrom" genannt hat: das "Problem anderer Leute". (Sehr) vereinfacht: Wir sehen nur das, was wir sehen wollen.

Was sehen wir also in First-Person-Shootern? Wir sehen eine Waffe, die wir mit der Maus abfeuern. Wir sehen einen Feind, den es zu töten gilt, damit nicht wir selbst getötet werden. Und was sehen wir dahinter? In Weltkriegs-Shootern wie 'Call of Duty' zum Beispiel ist dieser Feind ein böser Nazi und von daher ist es moralisch – scheinbar – völlig in Ordnung, ihn zu eliminieren. Gerechtigkeit hat also einen Standpunkt. Schwierig wird es aber in dem immer wieder als Negativ-Beispiel angeführten 'Counter Strike'. Hier ist der Feind entweder ein Terrorist (wobei es wieder in Ordnung ist, diesen zu töten) oder aber ein Mitglied der Anti-Terror-Einheit. Tja, und es kann ja wohl kaum in Ordnung sein, jemanden, der offensichtlich auf der richtigen Seite steht, zu töten, oder?

Nun, auch hier hat die Gerechtigkeit einen Standpunkt. Und zwar den, dass ich mich selbst, wenn ich auf der Seite des vermeintlich Bösen stehe, kaum als Bösen wahrnehme. Wie die Geschichte gezeigt hat, kann Gott erstaunlicherweise mit den Kriegern auf beiden Seiten sein. Ergo, es gibt keine böse Seite. Falsch! Es gibt nur böse Seiten. Der Russe, der den Nazi erschießt, ist nicht gut und der Gangster, der den Polizisten erschießt, ist es ebenso wenig. Moralisch betrachtet kann Gewalt und Töten niemals "gut" sein!

Also sind alle, die First-Person-Shooter spielen, vom moralischen Standpunkt aus schlechte Menschen? Wohl kaum! Denn eins sollte man nie aus den Augen verlieren (das passiert leider oft genug): In Spielen werden virtuelle Menschen mit virtuellen Waffen getötet. Spiele sind nicht real! Sie spiegeln aber häufig die Realität wieder und das Bedürfnis, vor allem First-Person-Shooter zu spielen, hat sicher ganz handfeste Ursachen, die in der Realität fußen. Vor allem ein allgemeines Ohnmachtsgefühl gegenüber der alltäglichen Wirklichkeit (inklusive der Gewalt und auch der Ungerechtigkeit), das in den Spielen in Macht und Gerechtigkeit umgewandelt wird.

In diesem Sinne geht es im Spiel nur vordergründig um Gewalt. In Wirklichkeit werden uns in den Spielen Werkzeuge in die Hand gegeben, mit unseren Ängsten, unserer eigenen Verwundbarkeit umzugehen. Aus diesem Grunde gibt es auch Superman und Grimms Märchen. In einem von Terry Pratchetts Romanen gibt die Gouvernante Susanne den Kindern, die Angst vor dem Schwarzen Mann unter dem Bett haben, eine Brechstange zur Verteidigung in die Hand! In Spielen können wir uns wehren, wir sind nicht ohnmächtig oder hilflos.

Das ist natürlich kein Grund, Gewalt in Spielen zu verharmlosen. Trotzdem bleibt es virtuelle Gewalt. Und die ist ungleich harmloser als die reale Gewalt. In den Achtzigern gab es das Schlagwort vom "Soldaten als potenziellen Mörder". Politisch und gesellschaftlich schlugen die Wellen hoch ob dieser infamen Behauptung. Letztendlich ist sie natürlich schlicht und einfach wahr. Und in genau diesem Sinne sind Computerspieler eben keine potenziellen Mörder, so wie es reale Soldaten sehr wohl sind.

Das Problem ist nicht, dass jemand den Krieg spielt, sondern dass jemand einen Krieg anzettelt, in diesen Krieg zieht und diesen Krieg rechtfertigt. Wer keine Computerspiele mit Kriegshandlungen mehr sehen will, der muss einfach nur das Original abschaffen. Schade nur, dass sich mit dieser Form der Gewalt noch mehr Geld verdienen lässt als mit Computerspielen. Gewalt verkauft sich halt in jeder Form. Und wir sollten froh sein, wenn wir nicht selbst Opfer dieser Gewalt werden. Und zwar ganz reale, getötete Opfer.

P.S.: Irgendwie hab ich die Kurve zu den Zombies nicht mehr gekriegt, aber wer wissen will, wie real die sind, dem sei die Zombie-Trilogie von Romero und auch 'Shaun of the Dead' ans Herz gelegt (oder geht doch am Samstag einfach mal durch die Fußgängerzone).

* 'Full Metal Jacket'

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